Donnerstag, 3. September 2015

Zehn Rosen

Es begab sich einst, dass sich ein Jüngling auf den Weg machte, und in ferne Gegenden zog, da er hoffte, dort in die Lehre eines Gärtners gehen zu können, der im Umgang mit den Pflanzen der wohl geschickteste und erfolgreichste seiner Zunft war.

Als er den Gärtner traf, wusste er, dass es dieser sein musste, dieser und kein anderer, der ihm diese Kunst beibringen sollte. Sein von ihm gewählter Meister war hingegen erst skeptisch, sagte, der Jüngling sei viel zu erpicht.
Er führte ihn in einen verborgenen Teil des Gartens und der Jüngling erblickte ein riesiges Feld wuchernden Grases. Sein erwählter Meister gab ihm einen Spaten und den Auftrag, die Fläche abzustechen und umzugraben. Er selbst steckte sich eine Pfeife an und sah dem Jüngling bei seinen ersten Spatenstichen zu, er war wohl sehr motiviert, und kam gut voran, sodass der Gärtner seine Pfeife wieder einsteckte und sich seiner Arbeit widmete.
Er hatte dem Jüngling auch einen Platz in seinem Haus gegeben, und als der Jüngling ihn abends beim Essen sah, wusste er, dass er seine Verzweiflung in Angesicht dieser Mammutaufgabe würde zügeln müssen, um hier zu bestehen, und gedachte, voreilig aufzugeben. Der Gärtner betrachtete ihn eine Weile, sagte jedoch nichts.
Noch bevor sein neuer Meister kam, um ihn zu wecken, war er bereits wach und ohne Frühstück auf dem Feld gewesen. Nun musste er auch sich beweisen, dass er dieser Kunst würdig war, hatte er sich selbst gesagt, und mechanisch seine Aufgabe erfüllt.
Die Sonne war längst aufgegangen, als der Gärtner den Jüngling im Garten fand, und der Jüngling sah, dass dieser sein Erstaunen kaum zurückhalten konnte. Er winkte den Jüngling mit sich und dieser sollte eine schwere Tüte voller Samen aus einem Schuppen zum Feld schaffen. Der Jüngling war sich sicher, noch nie so schwer getragen zu haben, und als er es geschafft hatte, gab es kein Zeichen der Anerkennung, nicht ein Wort sprach sein Meister, doch es lagen eine kleine Schaufel und abgenutzte Handschuhe bereit.
Der Jüngling erkannte, was von ihm verlangt wurde, doch wusste er nicht, wie er es tun sollte. Er starrte die Erde einfach nur an, der Gärtner bekam schnell genug und ging. Der Jüngling wusste, dass er ihn enttäuschte, doch hatte er keine Idee und abends aß er nur einen kleinen Bissen, bevor er sich schlafen legte.
Nun ließ er sich von seinem Meister wecken, aß etwas, trank etwas, und begab sich zum Beet, und als er es nun sah, fragte er sich, warum er es nicht gleichmäßig versuchen sollte. Schnell holte er aus dem Schuppen eine Harke und teilte sich das Feld ein, nahm Samen um Samen und bettete ihn in das Erdreich. Dann besorgte er sich eine Kanne, und lief zum Brunnen und zurück, Mal um Mal, bis jeder Samen ein wenig Wasser erhalten hatte. Der Gärtner war indessen zu ihm gestoßen und schien besänftigt und sprach gar seine ersten Worte seit einer längeren Zeit, der Jüngling habe sich als würdig erwiesen, doch was wolle er bezwecken? Der Jüngling stutzte und meinte: „Ich möchte hier ein Feld voller Blumen heranwachsen lassen, sodass wir sie verkaufen können.“ Der Gärtner nickte nur und ging.
In den folgenden Wochen bekam der Jüngling andere Aufgaben, erfuhr einige Grundlagen, doch jeden Tag sah er nach seinem Beet.

Nach einiger Zeit war es soweit, die ersten kleinen Pflanzen sprossen aus dem Boden und der Jüngling sollte sich nun um diese kümmern. Bevor er allerdings anfing, fragte der Meister ihn, was dies für eine Pflanze sei, und welche Farbe die Blüten haben würde. Der Jüngling war verwirrt, er erinnerte sich, dass es verschiedene Arten einer Rose gewesen waren, mittlerweile wusste er also, was er ausgesät hatte. Doch woher sollte er wissen, wie diese Rose später aussehen würde? Dann fragte ihn der Meister nach Größe, Lebensdauer und Schönheit. Der Jüngling konnte nur die Schultern zucken und sein Meister ging mit grimmiger Miene weg. Wieder hatte er ihn enttäuscht.
Er versuchte alles, um das auszugleichen, kümmerte sich um die zarten Pflänzchen, doch sie konnten sich nicht bewähren. Viele gingen ein, und er ging zu seinem Meister und fragte ihn kleinlaut um Rat.
Dieser lächelte das erste Mal seit langem und nahm ihn mit zu seinem Beet, und erklärte ihm, er müsse sich dem jeweiligen Pflänzchen anpassen. Der Jüngling sollte die kleinen Pflänzchen an die sonnigste Stelle umpflanzen und nun wieder sagen, was er erwarte. Er betrachtete die verbliebenen Pflänzchen, zweifelsohne waren sie stärker und somit würdiger als die anderen gewesen, doch welche würde die Schönste werden? „Ich denke“, sagte der Jüngling, „dass sie alle von atemberaubender Schönheit sein werden. Sie werden groß und stark sein und selbst härteste Winter überstehen, wenn man sich gut um sie kümmert.“ Er betrachtete die Pflänzchen erneut und zeigte auf eine: „Das soll meine Rose werden, sie soll die prächtigste, stärkste und kostbarste sein.“

Er sollte sich nicht irren: Als er seine Ausbildung so gut wie abgeschlossen hatte, gingen er und sein Meister zurück, aus den zarten Pflänzchen waren ansehnlich Rosen geworden, reiche Kaufleute, treue Kunden des Gärtners, standen bereits Schlange, um für eine horrende Summen auszugeben.
Der ehemalige Jüngling, der nun ein ehrbarer junger Mann war, wusste, dass dies seine Bewährungsprobe werden sollte und betrachtete die Rose, die er vor drei Jahren erwählt hatte. Für ihn war sie wahrlich die schönste aller Rosen, schöner noch als die besten des Meisters. Doch hatte er Angst, er würde nicht bestehen, schließlich wusste er, dass der Meister und die Kaufleute andere Favoriten hatten. Er sah seinen Meister an, welcher zufrieden lächelte, und sagte: „So kann ich nun deine Ausbildung für abgeschlossen erklären, du hast zehn wahrlich schöne Rosen herangezüchtet, und auch wenn du dich im Vorfeld für eine entschieden hattest, welche ab heute dein sein soll, hast du sie alle gepflegt und einer prachtvollen Rose angemessen behandelt. Das ist es, was einen Meister dieses Handwerks, dieser Kunst, ausmacht: Jede Rose zu behandeln, als sei sie die schönste, die die Welt je erblickt hat.“

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