Donnerstag, 3. September 2015

Die Kunst der Wertschätzung

Es gab einmal einen Mann, der ein Liebhaber der schönsten Edelsteine war. Er suchte und sammelte die Schönsten und Auffälligsten, deren Preise mehr als unverschämt hoch waren.

Doch eines Tages rückte ein Stein in den Fokus des Liebhabers, den er bis dahin noch nie so wahrgenommen hatte, obwohl er praktisch schon immer um ihn herum gewesen war.
Zwar war er nicht der Teuerste, auch nicht der Größte und erst recht nicht der Begehrteste, doch er war von einem Tiefgang und einer in sich geschlossenen Perfektion, dass der sonst so redegewandte Mann nicht imstande war, den Stein zu beschreiben. Er zweifelte und verzagte, da er fürchtete, den Edelstein nicht so schätzen zu können, wie es ihm gebührte, doch er wagte den Schritt und setzte alles daran, den Stein sein Eigen nennen zu können.

Als der Liebhaber sein Ziel erreicht hatte, stellte er ihn gut sichtbar in seinem Haus auf, machte ihn zum Zentrum des gesamten Gebäudes. Und jedes Mal, wenn er den Stein sah, funkelten seine Augen heller als die Sterne, und es dauerte eine Weile, bis er sich vom Anblick lösen konnte.
Doch mit der Zeit verschwand das Funkeln und die Zeit, die er sich nahm, seinen Stein zu betrachten, wurde kürzer. 
Der Stein, den er einst so geliebt hatte, wurde immer uninteressanter für ihn, bis er dann schließlich begann, sich nach einem neuen Edelstein umzusehen. Er fand auch viele Schöne, doch sie alle waren nicht perfekt und würden noch den letzten Schliff benötigen, bevor sie wirklich perfekt für ihn waren.
Er betrachtete einige und er tat es lange und eingehend, doch musste er schnell feststellen, dass dieser letzte Schliff schwierig zu bewerkstelligen sein würde, da der Stein dabei den individuellen Charakter verlor, den er so schätzte.

Eines abends begab sich der Liebhaber zu einer Gala, auf welcher die schönsten und prachtvollsten Edelsteine der Welt gezeigt werden sollten, und der Liebhaber war sich sicher, dass dies seine letzte Chance sein würde, das begehrte Objekt zu finden. Doch als er den Saal betrat, verschlug es ihm die Sprache und er blieb wie angewurzelt stehen.
Dort, in der Mitte des Saales, war eine riesige Menschenmenge um einen wunderschönen, ja gar perfekten Edelstein versammelt... um seinen Edelstein! Der Liebhaber musste sich erst einmal setzen, denn er glaubte bereits, den Stein aufgrund seiner eigenen Dummheit und Erblindung verloren zu haben, als einer der Gastgeber auf ihn zu kam, und ihn freundschaftlich grüßte, obwohl er den Mann noch nie gesehen hatte. Der Gastgeber setzte sich zum Liebhaber und bedankte sich überschwänglich für die Möglichkeit, den Stein zu präsentieren. Er wurde auch nicht müde zu versichern, dass der Stein in guten Händen sei und am vereinbarten Termin zurück zum Liebhaber komme. Dem Liebhaber fiel ein Stein vom Herzen, als er erkannte, dass er den Edelstein doch nicht verloren hatte, und er schwor sich, niemals wieder die Schönheit dessen, was er bereits besaß, zu verkennen.

Später an diesem Abend hörte er von einem Mann in einer ähnlichen Lage, der seinen ehemals geliebten Edelstein gegen einen neuen tauschte, und diesen Tausch bitter bereute, als er erkannte, dass er damit verloren hatte, was er all die Zeit gesucht hatte...

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