„Schön
ist es hier. Wahrlich schön. Findest du nicht auch?“ Sie antwortet
ihm nicht. „Ich finde, es ist wahrlich idyllisch. Dort hinten
spiegelt sich der Mond, er strahlt wirklich schön heute Nacht.
Findest du nicht auch?“ Wieder antwortet ihm nur das Schweigen.
„Ich finde, es hat etwas Magisches, gar erfüllendes, dem Meer zu
lauschen. Wie die Wellen heranrollen und sich dann am Strand brechen.
Die Wellen sind ja auch nicht hoch, wären sie höher, wir würden
nicht hier sitzen, nicht wahr?“ Er muss lachen, sie schweigt.
„Weißt du, dass ich ein ausgesprochen talentierter Schwimmer und
gutaussehender Surfer bin? Du hättest mich mal sehen sollen…“ Er
verfällt kurz in Schweigen, guckt zu Boden. „Wenn dir kalt ist,
musst du es mir sagen. Ich kann dir zwar nicht meine Jacke geben,
dann wäre mir ja selbst kalt, das versteht du sicher, aber mir fällt
schon etwas ein.“ Doch sie sagt nichts. Während er dort mit
angezogenen Beinen im Sand sitzt, zuckt seine Hand hin und her.
„Weißt du, so geht das nicht. Ich kann nicht die ganze Zeit
alleine reden. Sag doch auch mal was. Das wird bestimmt lustig.“
Sie antwortet nicht, er nickt. Nickt immer heftiger, sagt nur: „Ja.“
Er guckt von links nach rechts und wieder zurück. Seine Hand zuckt
wieder. „W-w-weißt du, was ich für dich empfinde? Es bedeutet mir
so viel, dass du hier mit mir bist. Ja, das macht dich zu etwas ganz
Besonderem.“ Er ist still, wartet auf eine Antwort. „Oh, gucke
mal, wie schön die Sterne leuchten! Ich wette sie leuchten nur für
uns.“ Doch sie sieht nicht hin, schweigt weiter. „Mädchen und
ich, Frauen und ich, das hat noch nie so gut gepasst, weißt du?
Keine hat bisher gesehen, was ich für ein netter Typ bin,
wahrscheinlich haben sie mich einfach nicht verdient. Nein, sag jetzt
nichts, sie konnten mir noch nie wehtun. Tief in mir wusste ich schon
immer, dass es eine geben wird, die mich wertschätzt.“ Er nickt
wie zur Bestätigung, doch von ihr kommt keine Antwort, sie schweigt.
„Du bist diejenige, da bin ich mir ganz sicher. Ja, ja, ja, so muss
es sein! Dass du und ich, wir, jetzt hier sind, hier! Am Strand! Das,
das ist Zeichen, weißt du? Der Mond scheint so hell, die Sterne
strahlen und das Meer, es klingt wundervoll.“ Er wartet, sie
schweigt. Seine Hand rutscht vom Knie auf den Sand. Tastet sich zu
ihrer Hand. Ergreift sie. „Deine Hand, sie ist ja ganz kalt! Du
Dummerchen, warum sagst du denn nichts? Ich rede und rede und rede
mit dir, doch du sagst nichts.“ Als sie wieder nicht antwortet,
dreht er sich zu ihr um, sieht sie direkt an. „Deine Haut, sie ist
ganz bleich! Geht es dir nicht gut? Kalt und bleich, warum schweigst
du? Seit vorhin hast du nichts gesagt, warum schweigst du? Ich habe
getan, was ich konnte, warum siehst du mich so anklagend an? Du bist
wieder sauber, was willst du noch?“ Doch sie schweigt. Sie schweigt
und sieht ihn nicht an. Er versucht ihre Hand zu öffnen, die sie zu
einer Faust geballt hat. Doch die Finger lassen sich nicht bewegen.
Sie sind schon lange kalt.
Sonntag, 13. September 2015
Donnerstag, 3. September 2015
Der Sprung
„Spring! Spring! Spring! Spring!“
Die Menge hat ihren Rhythmus
gefunden. Erst waren es nur Wenige, die üblichen Verdächtigen eben,
die mich schon immer schikaniert und ausgegrenzt hatten. Sie hatten
mir mein Buch genommen und gelacht, ich solle mal meinen fetten Arsch
bewegen. Es wurden mehr und mehr, als nächstes stimmten die
Freundinnen und die, die es gerne wären, in den Chor mit ein. So zog
es seine Kreise.
„Spring! Spring! Spring! Spring!“
Es ging mir nicht aus dem Ohr. Egal
woran ich dachte, egal was ich sagte, ich kam nicht vom Felsvorsprung
weg. Ich hatte es ihnen beweisen wollen. Ich war also aufgestanden,
nahm all meinen Mut zusammen, und sagte ihrem Anführer ruhig, er
möge mir das Buch wiedergeben. Doch er lachte nur.
„Spring! Spring! Spring! Spring!“
Und so fasste ich einen Entschluss.
Ich ging einen Weg hinauf, der zum höchsten Felsvorsprung am Badesee
führte. Da hatte noch keiner geschrien, niemand gelacht, es waren
auch noch keine Wetten abgeschlossen worden. Erstaunt hatten sie mir
hinterher gesehen, nicht gewusst oder geglaubt, was ich vorhatte.
„Spring! Spring! Spring! Spring!“
Ich stand dort oben, bestimmt 20
Meter über dem blauen See. Ich sah hinab und mir wurde schwindelig.
Die Angst packte mich, ich wusste, ich würde es nicht packen.
Anstatt es ihnen zu beweisen, würde ich endgültig zum Gespött. Ich
drehte mich um, doch viele waren mir gefolgt, sie wollten das
Spektakel aus nächster Nähe sehen. Am Strand und an anderen
Felsvorsprüngen konnte ich sie sehen. Verachtete sie, weil sie
gafften.
„Spring! Spring! Spring! Spring!“
Keiner von ihnen war bisher von
dieser Höhe gesprungen, doch ich hörte die ersten „Feigling!“
und „Versager!“ Rufe. Ich sah zu meinen Freunden hinab, sie waren
nicht nach oben gefolgt. So wie ich waren sie Opfer, Ausgegrenzte,
sie hätten befürchten müssen, die nächsten zu sein. Ich sah ihren
Kummer, ihr Mitleid und ihre Machtlosigkeit. Ich konnte das Getuschel
hören, Beträge, die abgeschlossen wurden.
„Spring! Spring! Spring! Spring!“
Da hoffte ich, dass ich es mir nur
einbilde, doch die Menge rückte näher, da bin ich mir mittlerweile
sicher. Instinktiv machte ich einen Schritt zurück. Es fehlte nicht
viel, ich wäre fast gefallen. Einen kurzen Moment wurde es still,
einige schienen schockiert. Ob sie wohl realisierten, was sie mir
antaten? Doch die Wichtigen und Coolen feuerten sie an. Sie wurden
frenetischer als zuvor.
„Spring! Spring! Spring! Spring!
Spring! Spring! Spring! Spring!“
Sie kreischten und jubelten, als ich
mich umdrehte und meine Muskeln anspannte. Meine Angst war
riesengroß. Ich warte, flüsterte einmal gemeinsam mit der Menge
„Spring!“.
Und sprang.
Der Sturz war schnell, auch wenn mir
die Sekunden langsam vorkamen. Die Menge verstummte, raunte, jubelte,
kreischte, drehte durch.
Erst spürte ich das kalte Wasser.
Dann den schlimmsten Schmerz. Schließlich nur noch schwarze Leere.
Erinnerungen
Ich
komme aus der Dusche, vom warmen Wasser sind die Scheiben und die
Spiegel beschlagen. Ich wische über den Spiegel, doch was ich sehe,
bin nicht ich. Moment, das bin ich, nur um Jahre jünger. Ich
blinzle, das Spiegelbild ist wieder das Erwartete. Ich schüttele den
Kopf, ziehe mich an, doch der Eindruck und der Gedanke verschwinden
nicht. Ich mache mir einen Kaffee, lasse ihn aber stehen, und gehe
zurück ins Badezimmer. Das ist es wieder, mein jüngeres Ich. Haar-
und Augenfarbe sind die gleiche, mein Gesicht hat sich kaum verändert
– schmaler ist es schon. Aus der Küche höre ich das Radio, es
spielt diesen Song, den ich damals so geliebt habe. Erst lächele ich
nur, dann muss ich schallend lachen. Für einen Moment rücken meine
Aufgaben und Pläne für den Tag in den Hintergrund und ich muss an
meine alten Träume denken. Einige sind noch immer die gleichen,
andere konnte ich bereits in die Tat umsetzen. Ich gucke mein
jüngeres Ich herausfordernd an und es reicht mir die Hand – ich
ergreife sie und finde mich in einer Achterbahnfahrt der Erinnerungen
wieder. Die Fahrt ist rasend schnell, viel ist geschehen, so wenig
Zeit theoretisch vergangen. Ich sehe die Gesichter alter Freunde
wieder, laufe mit ihnen an warmen Sommertagen durch sonnige
Straßen, sitze am Laptop und schreibe mit einer guten Freundin,
unterhalte mich mit meinem besten Freund über meine kleinen
Geheimnisse und lache insgeheim über meine naiven Vorstellungen.
Mit Höchstgeschwindigkeit fahre ich durch die halsbrecherischen
Loopings meiner Vergangenheit, gelange zu meinen Hoch- und von
dort zu schnell zu meinen Tiefpunkten. Keuchend stehe ich wieder vor
dem Spiegel und blicke mein Spiegelbild an. Ich sehe, dass es
lächelt. Es hat ja auch Spaß gemacht. Ich gehe zurück in die
Küche, der Kaffee ist noch heiß, im Radio läuft noch immer mein
alter Lieblingssong, doch ist er in seinen letzten Zügen.
Melancholisch
trinke ich einen Schluck Kaffee, den ich vor nicht allzu langer noch
nicht so recht mochte. Wie jede Achterbahnfahrt war auch diese
zu schnell vorbei, was bleibt, sind das gute Gefühl und die Frage,
was aus all den Menschen geworden ist, deren Weg ich kreuzen durfte.
Das "Etwas"
Einst
begab es sich, dass sich ein Jüngling aufmachte, die Welt zu
erkunden und etwas zu finden, von dem er nur schemenhaft wusste, was
er war, etwas, von dem er bisher nur in Erzählungen gehört hatte.
Angefangen
hatte Alles mit seinem Vater, der ihm sagte, es gebe da etwas, wofür
es sich zu streben lohne. Der Jüngling war da noch im jungen
Kindesalter, wusste diesen Rat nicht recht einzuordnen, vor allem
weil sein Vater in das altbekannte Schweigen fiel, als er ihn danach
fragte.
Den
nächsten Hinweis hatten ihm Freunde geliefert, die sagten, sie
würden spüren, dass da noch etwas auf sie warte, es etwas geben
müsse, wofür es sich lohne zu leben, zu lernen, zu arbeiten und zu
sterben. Das hatte ihn wieder angetrieben zu forschen, zu fragen,
doch noch immer wusste er nicht, was dieses "Etwas" sein
sollte.
Den
letzten Rat hatte er von seinem Lehrer erhalten, der zu seiner Klasse sagte, man müsse reisen,
um Großes und Vollkommenheit zu erreichen.
So
brach der Jüngling an seinem 18. Geburtstag auf, um dieses "Etwas"
zu finden, er überquerte die tiefsten Flüsse, sprang von den
höchsten Wasserfällen, rannte durch die dichtesten Wälder, kämpfte
mit den stärksten Bären, bestieg die höchsten Berge, arbeitete
sich durch die dunkelsten Tunnel, sprach mit den intelligentesten
Gelehrten, küsste und schlief mit den schönsten Frauen, doch musste
er in den sieben Jahren seiner Reise feststellen, dass er nichts
gefunden hatte, keinen Schatz, kein Wissen, keinen besonderen Ruhm
und auch keinen Ruheort.
Er
kehrte zurück zu seinem Geburtsort, sprach mit seinen alten
Freunden. Sie alle hatten etwas erlebt, einen Beruf gelernt, eine
Frau gefunden, ein Haus gebaut und sogar schon Kinder in die Welt
gesetzt.
Fragte
er sie nach dem "Etwas", nach dem sie streben sollten und
wollten, sagten sie alle, es gefunden zu haben, doch was ihn
verwirrte, war, dass sie alle etwas anderes benannten: "Es ist
eindeutig mein Hof!", "meine Frau!", "meine
Tochter!", "Geld!", "Leben!", "Familie!".
Nach
diesen Gesprächen nahm der junge Mann nachdenklich platz, keiner von
ihnen hatte erlebt oder geschafft, was er aus seinem Leben gemacht
hatte, sie waren nicht gereist, hatten nicht versucht, Großes zu
erreichen, und trotzdem meinten sie, vollkommen zu sein
Er
entschied sich, einen letzten Versuch zu wagen, und seinen Vater zu
fragen, was dieser vor nun zwanzig Jahren gemeint habe, er musste es
wissen.
Seine
Familie freute sich sehr, ihn zu sehen, doch hatte er kaum Ruhe und
Rast, um die beiden kleinen Zwillinge zu betrachten, die er als
Schwestern bekommen hatte, sondern setzte sich mit seinem Vater. Erst
schwiegen sie, bis der junge Man platzte, ihm alles erzählte, bis
ins kleinste Detail, und ihn abschließend fragte, was er falsch
gemacht habe. Sein Vater starrte ihn an, brummte, zündete sich eine
Zigarette an, wie er es so oft tat, und schwieg, schwieg, schwieg.
Der junge Mann wollte schon aufgeben, sich erheben, seine neuen
Geschwister kennenlernen, als sein Vater ihm am Arm festhielt und
sagte, es gebe keinen Gegenstand, den er finden, keinen Ruhm, den er
erlangen, und auch keine Eigenschaft, die er sich aneignen könne,
die das Leben ausmache.
Erschüttert
setzte sich der junge Mann, war alles vergeblich gewesen? Doch
erkannte er und war froh, dass sein Vater schwieg. Das, was ihn
ausmachte, war nicht dort draußen in der Welt, es war bereits in
ihm.
Drei
Tage später brach er wieder auf, denn das Abenteuer war dieses
"Etwas", das er immer finden wollte.
Ich will nur dein Gesicht sehen
Wie
schnell darf ich hier fahren? 120. Geht in Ordnung. Vor mir?
Alles frei... hinter mir auch. Ziemlich leer hier, sonst sind hier
mehr Idioten. Wonach riecht sie bloß? Süßlich frisch und
angenehm... nicht mal mein Bäumchen kann ich mehr riechen. Muss
ich nicht schon die nächste Abfahrt nehmen? Nein, nein, noch sehe
ich keine Möwen, aber dann, dann schmecken wir das Meer. Was
denkt sie jetzt von mir? Hätte sie lieber einen anderen bei sich?
Ich kenne sie kaum, aber sie scheint mich zu mögen, wäre sie sonst
mitgekommen? Wo habe ich meine Sonnenbrille, die Sonne steht
bereits so tief... ihre Haare glitzern wie Gold, habe ich je etwas
so Schönes gesehen? Warum guckt sie die ganze Zeit aus dem
Fenster? Sieh mich an! Schenke mir ein Lächeln! Aber
warum schreit sie auf einmal so? Ich bin bereit zu bremsen, ich
will nur de
Irgendwann an Weihnachten...
...begab
es sich, dass sich ein Hasenjunges, ein Rehkitz, ein Eichhörnchen,
ein Fuchs und ein Vogel gemeinsam von einem Wald aus aufmachten, um
das Geheimnis hinter der angeblichen Magie der menschlichen Weihnacht
zu ergründen.
Es schneite nun schon seit ein paar Tagen, auch als die fünf Kameraden den Wald hinter sich gelassen hatten und den ersten Garten erreichten, schneite es. Eigentlich war es bereits dunkel und im Wald hätten sie nicht mehr viel tun können, in diesem kleinen Vorort aber war es noch taghell und alles leuchtete, blinkte und erstrahlte in rot, orange, weiß und komischerweise sogar in blau.
Es war nicht der erste Ausflug dieser Art für das Hasenjunges, es hoppelte vor und hielt seine Freunde an, sich zu beeilen, die Menschen seien eh gerade mit Essen beschäftigt und sie könnten ruhig die Hauptstraße benutzen.
Für das Rehkitz war das allerdings gar nicht so einfach, der Neuschnee hatte die Straßen schon bedeckt, und es bewegte sich staksig durch den Schnee, rutschte hin und wieder auf einem glatten Teilstück aus, und fiel dann in die großen Schneehaufen an den Seiten der Straße. Auch wenn das Eichhörnchen seinen Freund jedes Mal auslachte und dafür mit bösem Gezwitscher des Vogels quittiert wurde, hatte es das Ganze doch nicht besser hinbekommen, und hatte es sich auf dem Rücken des Fuchs gemütlich gemacht, der der älteste von ihnen war, und dazu neigte, sich häufig besserwisserisch und idiotisch zu benehmen. Sie hatten sich bis zu einem besonders kitschigen Vorgarten durchgekämpft, als der Fuchs ansetzte: „Wisst ihr, die Menschen, die sind doch bekloppt, dass sie das Alles machen. Es ist schrill, nervig und teuer! Die ganzen Stromkosten, diese dummen Geschenke, was soll ihnen das bringen? Das ist doch...“ Der Fuchs unterbrach erschrocken seinen Satz und machte jäh einen Satz zur Seite, sodass das Eichhörnchen samt seinen Nüssen von seinem Rücken flog und wie das Rehkitz gefühlte tausendmal zuvor in einem Schneehaufen landete. Das Rehkitz und der Vogel hatten sich hinter einer Hecke versteckt, nun sahen sie auf, und erkannten, was den Fuchs so erschreckt hatte: Als sie das Grundstück betreten hatten, mussten sie an so einem Bewegungsmelder vorbeigekommen sein, den die Menschen so toll fanden, und hatten einen riesigen Schlitten samt Rentiergespann und Weihnachtsmann, welcher nun „HO-HO-HO“ sagte, zum Leben erweckt. Nur das Hasenjunge ließ sich nicht beeindrucken und lachte im Angesicht der Tollheit seiner Kameraden auf: „Das ist nur weitere Dekoration, das soll den dicken Weihnachtsmann samt Beförderungsmittel darstellen... die neuesten Modelle haben eingebaute Lautsprecher, die angehen, sobald jemand in die Nähe kommt.“ Das Hasenjunge beäugte das Rehkitz, „wenn ich mir dich so ansehe, hätte er lieber Hasen nehmen sollen, die sind nicht so schreckhaft.“, frotzelte es. Das Rehkitz schüttelte sich, kam hinter der Hecke hervor. sah ihn böse an, setzte dann zu einer Antwort an, überlegte es sich dann aber anders und brach in ein schallendes Lachen aus, als sich das Hasenjunge wegen dem Vogel erschreckte, der leise hinter ihn geflogen war, und ihn nun in einem Sturzflug zu Boden geworfen hatte.
Vergnügt zogen sie weiter, wunderten sich aber mehr und mehr, wo denn alle Menschen seien, zumindest Kindern hätten sie doch begegnen müssen, es schneite schließlich. Doch es war niemand da, und die Lichter, die zu Anfang noch eine gemütliche Atmosphäre erzeugt hatten, wirkten nun kalt und abweisend. Das Eichhörnchen sprach es dann quiekend an: „Wo sind denn alle? Wie sollen wir Weihnachten verstehen, wenn die Erfinder gar nicht hier sind? Ich dachte immer, zu dieser Zeit sei alles laut und bunt, voller im Schnee spielender Kinder, Kutsche fahrender Erwachsenen und dem Duft von Plätzchen... bunt ist es ja, aber ohne die Menschen ist alles eher plump und unbequem, oder?“ Als Antwort bekam es ein zustimmendes Grunzen von seinen Freunden und sie setzten ihren Weg fort.
Sie entschieden sich, offensiver vorzugehen, musterten Vor- sowie Hintergärten, schrien und brüllten, ja, blickten sogar vorsichtig durch ein Fenster: Der Fernseher lief noch, sie konnten ein gemütliches Wohnzimmer samt weihnachtlicher Dekoration und einem Fernseher sehen, dessen Bild eingefroren war, es schien, als hätte sich wer-auch-immer vor seinem Verschwinden einen Film oder eine Serie angesehen, zumindest war es das, was der weitsichtige Fuchs auf einem Tisch erkennen konnte.
Ratlos zogen sie weiter und entdeckten irgendwann ein Kaufhaus. Ihnen war kalt, und da sie bisher keinem Menschen begegnet waren, fürchteten sie auch nicht, dass sie jetzt einem begegnen könnten. Die Tür öffnete sich und sie betraten ein riesiges Gebäude mit Fahrstühlen, Gängen, Treppen und kleinen Verkaufsräumen. Hier war es nicht mehr still, es lief Weihnachtsmusik und sie fanden ein Podium mit anscheinend zu signierenden Büchern von einem vermutlich berühmten Autoren, zumindest war das Podium von Hinweisschildern auf ein bestimmtes Buch von ihm umringt und es lagen diverse Ausgaben und Stifte auf dem Boden. Das Eichhörnchen beäugte die Bücher misstrauisch und meinte: „Warum kaufen die sich noch Bücher? Ich habe immer weniger Bäume zum Hüpfen und die schmeißen sie einfach weg. Als E-Book ist das doch viel praktischer, findet ihr nicht auch?“
Der Fuchs schüttelte den Kopf und meinte dann: „Was macht bei den Menschen überhaupt Sinn? Ohne die Geschenke wäre dieses Weihnachten nicht dasselbe. Die meisten Kinder denken doch einfach nur an die Bescherung, aber verkauft wird es als das Fest der Liebe, der Besinnung, gar als Gedenken an die Geburt Christi, der übrigens über das Wasser gelaufen sein soll, die sind doch verrückt! Wenn ihr mich fragt, ist Weihnachten ein rein kommerzielles Geschäft, wäre es anders, müssten sie doch nicht so einen Aufwand betreiben.“ Aufgrund dieser Feststellung, die schwer zu widerlegen schien, zogen die Tiere mürrisch durch das Kaufhaus, selbst die Leckereien, für die sie sonst größte Gefahren auf sich genommen hätten, wenn es mal welche im Wald gab, würdigten sie keines Blickes mehr.
Sie verließen das Kaufhaus durch den anderen Eingang und betraten einen Parkplatz, der voll von Autos war. An den Parkplatz grenzte eine künstliche Eislaufbahn, und die Freunde nutzen die Gelegenheit, diese ausgiebig auszutesten und so die schlechte Laune zu vertreiben. Der Fuchs erzählte ihnen, die Menschen würden so etwas machen, da die Seen und Flüsse zwar nicht mehr gefrieren würden, sie sich den Spaß am Eislaufen aber nicht nehmen lassen wollen würden. Als sie es endlich geschafft hatten, die künstliche Eisfläche zu verlassen, machten sie sich auf den Rückweg in ihren Wald. Trotz der lustigen letzten halben Stunde mochte keiner was sagen, sie hatten immer noch nicht verstanden, was an Weihnachten so toll sein sollte, und sie ahnten, dass sie mittlerweile so lange weg gewesen waren, dass ihnen ihre Eltern eine Standpauke halten würden, die sie so schnell nicht vergessen würden.
Sie schlichen förmlich durch die Straßen, die nun mit komplett mit Schnee bedeckt waren, und es schneite unerbittlich weiter. Das Hasenjunge versank fast bis zum Oberkörper im Schnee und ihnen war kalt, und so kam es, dass ihnen eine kleine Veränderung fast nicht aufgefallen wäre, aber der Vogel war aufmerksam gewesen, und meinte: „Seht, dort im dem Haus, da sind Menschen!“ Vorsichtig rannten sie zu einem Fenster und sahen gespannt in eine Küche.
Dort sahen sie zwei kleiner Kinder mit Ausstechformen um einen Tisch rennen, während eine anscheinend schwangere Frau einen Teig ausrollte und ein Mann sich ein wenig vom Teig stahl. Ein anderes Fenster in der Nähe war geöffnet und sie hörten leise Weihnachtsmusik in der Luft, es piepte laut auf, und der Mann holte die ersten fertigen Kekse aus dem Ofen. Es duftete vorzüglich und den Freunden wurde angenehm mulmig beim Anblick dieser familiären Idylle. Eines der Kinder erblickte sie und lachte vergnügt. Selbst der vorher so kritische Fuchs war berührt. Als sie sich abwandten, sahen sie eine vollkommen neue Situation:
Überall waren plötzlich lachende und grölende Kinder, Schneebälle flogen durch die Luft, Schneemänner wuchsen empor, Schlitten mit jauchzenden Kindern wurden von Vätern und größeren Geschwistern durch die Straßen gezogen und sogar eine Kutsche kreuzte ihren Weg. „Fehlt ja nur noch die Musik aus dem Kaufhaus, dann wäre es wie im Film“, zwitscherte der Vogel ironisch, woraufhin der Fuchs ihn strafend ansah und meinte: „Sei still, du machst die schöne weihnachtliche Atmosphäre kaputt. Er wandte sich zum Rehkitz und meinte: „Tony, du musst jetzt echt aufstehen, du kommst zu spät zur Schule.“
Tony schlug seine Augen auf, er befand sich in seinem Zimmer, in seinem warmen Bett. Er rieb sich die Augen und sah auf den Wecker. WAS?! SCHON SIEBEN?! Er musste sich wirklich beeilen. Sein Vater war bereits verschwunden und er setzte sich auf. Dann kam die Erinnerung. Am Tag zuvor hatte er sich mit seinen Eltern gestritten, weil sie ihm ein gewisses Geschenk verweigerten. Jetzt ärgerte er sich, sie schenkten ihm und seiner Schwester Klara doch bereits so viel. Er sprang auf und rannte durch das gesamte Haus zu seiner Mutter und fiel ihr in die Arme. „Es tut mir so leid, was ich gestern gesagt habe, Mutti. Bitte sei mir nicht mehr sauer.“ Die Mutter fuhr im liebevoll durch die Haare und meinte: „Mach zu, Tony, vergiss nicht, nach der Schule wollen wir noch Kekse backen...
Es schneite nun schon seit ein paar Tagen, auch als die fünf Kameraden den Wald hinter sich gelassen hatten und den ersten Garten erreichten, schneite es. Eigentlich war es bereits dunkel und im Wald hätten sie nicht mehr viel tun können, in diesem kleinen Vorort aber war es noch taghell und alles leuchtete, blinkte und erstrahlte in rot, orange, weiß und komischerweise sogar in blau.
Es war nicht der erste Ausflug dieser Art für das Hasenjunges, es hoppelte vor und hielt seine Freunde an, sich zu beeilen, die Menschen seien eh gerade mit Essen beschäftigt und sie könnten ruhig die Hauptstraße benutzen.
Für das Rehkitz war das allerdings gar nicht so einfach, der Neuschnee hatte die Straßen schon bedeckt, und es bewegte sich staksig durch den Schnee, rutschte hin und wieder auf einem glatten Teilstück aus, und fiel dann in die großen Schneehaufen an den Seiten der Straße. Auch wenn das Eichhörnchen seinen Freund jedes Mal auslachte und dafür mit bösem Gezwitscher des Vogels quittiert wurde, hatte es das Ganze doch nicht besser hinbekommen, und hatte es sich auf dem Rücken des Fuchs gemütlich gemacht, der der älteste von ihnen war, und dazu neigte, sich häufig besserwisserisch und idiotisch zu benehmen. Sie hatten sich bis zu einem besonders kitschigen Vorgarten durchgekämpft, als der Fuchs ansetzte: „Wisst ihr, die Menschen, die sind doch bekloppt, dass sie das Alles machen. Es ist schrill, nervig und teuer! Die ganzen Stromkosten, diese dummen Geschenke, was soll ihnen das bringen? Das ist doch...“ Der Fuchs unterbrach erschrocken seinen Satz und machte jäh einen Satz zur Seite, sodass das Eichhörnchen samt seinen Nüssen von seinem Rücken flog und wie das Rehkitz gefühlte tausendmal zuvor in einem Schneehaufen landete. Das Rehkitz und der Vogel hatten sich hinter einer Hecke versteckt, nun sahen sie auf, und erkannten, was den Fuchs so erschreckt hatte: Als sie das Grundstück betreten hatten, mussten sie an so einem Bewegungsmelder vorbeigekommen sein, den die Menschen so toll fanden, und hatten einen riesigen Schlitten samt Rentiergespann und Weihnachtsmann, welcher nun „HO-HO-HO“ sagte, zum Leben erweckt. Nur das Hasenjunge ließ sich nicht beeindrucken und lachte im Angesicht der Tollheit seiner Kameraden auf: „Das ist nur weitere Dekoration, das soll den dicken Weihnachtsmann samt Beförderungsmittel darstellen... die neuesten Modelle haben eingebaute Lautsprecher, die angehen, sobald jemand in die Nähe kommt.“ Das Hasenjunge beäugte das Rehkitz, „wenn ich mir dich so ansehe, hätte er lieber Hasen nehmen sollen, die sind nicht so schreckhaft.“, frotzelte es. Das Rehkitz schüttelte sich, kam hinter der Hecke hervor. sah ihn böse an, setzte dann zu einer Antwort an, überlegte es sich dann aber anders und brach in ein schallendes Lachen aus, als sich das Hasenjunge wegen dem Vogel erschreckte, der leise hinter ihn geflogen war, und ihn nun in einem Sturzflug zu Boden geworfen hatte.
Vergnügt zogen sie weiter, wunderten sich aber mehr und mehr, wo denn alle Menschen seien, zumindest Kindern hätten sie doch begegnen müssen, es schneite schließlich. Doch es war niemand da, und die Lichter, die zu Anfang noch eine gemütliche Atmosphäre erzeugt hatten, wirkten nun kalt und abweisend. Das Eichhörnchen sprach es dann quiekend an: „Wo sind denn alle? Wie sollen wir Weihnachten verstehen, wenn die Erfinder gar nicht hier sind? Ich dachte immer, zu dieser Zeit sei alles laut und bunt, voller im Schnee spielender Kinder, Kutsche fahrender Erwachsenen und dem Duft von Plätzchen... bunt ist es ja, aber ohne die Menschen ist alles eher plump und unbequem, oder?“ Als Antwort bekam es ein zustimmendes Grunzen von seinen Freunden und sie setzten ihren Weg fort.
Sie entschieden sich, offensiver vorzugehen, musterten Vor- sowie Hintergärten, schrien und brüllten, ja, blickten sogar vorsichtig durch ein Fenster: Der Fernseher lief noch, sie konnten ein gemütliches Wohnzimmer samt weihnachtlicher Dekoration und einem Fernseher sehen, dessen Bild eingefroren war, es schien, als hätte sich wer-auch-immer vor seinem Verschwinden einen Film oder eine Serie angesehen, zumindest war es das, was der weitsichtige Fuchs auf einem Tisch erkennen konnte.
Ratlos zogen sie weiter und entdeckten irgendwann ein Kaufhaus. Ihnen war kalt, und da sie bisher keinem Menschen begegnet waren, fürchteten sie auch nicht, dass sie jetzt einem begegnen könnten. Die Tür öffnete sich und sie betraten ein riesiges Gebäude mit Fahrstühlen, Gängen, Treppen und kleinen Verkaufsräumen. Hier war es nicht mehr still, es lief Weihnachtsmusik und sie fanden ein Podium mit anscheinend zu signierenden Büchern von einem vermutlich berühmten Autoren, zumindest war das Podium von Hinweisschildern auf ein bestimmtes Buch von ihm umringt und es lagen diverse Ausgaben und Stifte auf dem Boden. Das Eichhörnchen beäugte die Bücher misstrauisch und meinte: „Warum kaufen die sich noch Bücher? Ich habe immer weniger Bäume zum Hüpfen und die schmeißen sie einfach weg. Als E-Book ist das doch viel praktischer, findet ihr nicht auch?“
Der Fuchs schüttelte den Kopf und meinte dann: „Was macht bei den Menschen überhaupt Sinn? Ohne die Geschenke wäre dieses Weihnachten nicht dasselbe. Die meisten Kinder denken doch einfach nur an die Bescherung, aber verkauft wird es als das Fest der Liebe, der Besinnung, gar als Gedenken an die Geburt Christi, der übrigens über das Wasser gelaufen sein soll, die sind doch verrückt! Wenn ihr mich fragt, ist Weihnachten ein rein kommerzielles Geschäft, wäre es anders, müssten sie doch nicht so einen Aufwand betreiben.“ Aufgrund dieser Feststellung, die schwer zu widerlegen schien, zogen die Tiere mürrisch durch das Kaufhaus, selbst die Leckereien, für die sie sonst größte Gefahren auf sich genommen hätten, wenn es mal welche im Wald gab, würdigten sie keines Blickes mehr.
Sie verließen das Kaufhaus durch den anderen Eingang und betraten einen Parkplatz, der voll von Autos war. An den Parkplatz grenzte eine künstliche Eislaufbahn, und die Freunde nutzen die Gelegenheit, diese ausgiebig auszutesten und so die schlechte Laune zu vertreiben. Der Fuchs erzählte ihnen, die Menschen würden so etwas machen, da die Seen und Flüsse zwar nicht mehr gefrieren würden, sie sich den Spaß am Eislaufen aber nicht nehmen lassen wollen würden. Als sie es endlich geschafft hatten, die künstliche Eisfläche zu verlassen, machten sie sich auf den Rückweg in ihren Wald. Trotz der lustigen letzten halben Stunde mochte keiner was sagen, sie hatten immer noch nicht verstanden, was an Weihnachten so toll sein sollte, und sie ahnten, dass sie mittlerweile so lange weg gewesen waren, dass ihnen ihre Eltern eine Standpauke halten würden, die sie so schnell nicht vergessen würden.
Sie schlichen förmlich durch die Straßen, die nun mit komplett mit Schnee bedeckt waren, und es schneite unerbittlich weiter. Das Hasenjunge versank fast bis zum Oberkörper im Schnee und ihnen war kalt, und so kam es, dass ihnen eine kleine Veränderung fast nicht aufgefallen wäre, aber der Vogel war aufmerksam gewesen, und meinte: „Seht, dort im dem Haus, da sind Menschen!“ Vorsichtig rannten sie zu einem Fenster und sahen gespannt in eine Küche.
Dort sahen sie zwei kleiner Kinder mit Ausstechformen um einen Tisch rennen, während eine anscheinend schwangere Frau einen Teig ausrollte und ein Mann sich ein wenig vom Teig stahl. Ein anderes Fenster in der Nähe war geöffnet und sie hörten leise Weihnachtsmusik in der Luft, es piepte laut auf, und der Mann holte die ersten fertigen Kekse aus dem Ofen. Es duftete vorzüglich und den Freunden wurde angenehm mulmig beim Anblick dieser familiären Idylle. Eines der Kinder erblickte sie und lachte vergnügt. Selbst der vorher so kritische Fuchs war berührt. Als sie sich abwandten, sahen sie eine vollkommen neue Situation:
Überall waren plötzlich lachende und grölende Kinder, Schneebälle flogen durch die Luft, Schneemänner wuchsen empor, Schlitten mit jauchzenden Kindern wurden von Vätern und größeren Geschwistern durch die Straßen gezogen und sogar eine Kutsche kreuzte ihren Weg. „Fehlt ja nur noch die Musik aus dem Kaufhaus, dann wäre es wie im Film“, zwitscherte der Vogel ironisch, woraufhin der Fuchs ihn strafend ansah und meinte: „Sei still, du machst die schöne weihnachtliche Atmosphäre kaputt. Er wandte sich zum Rehkitz und meinte: „Tony, du musst jetzt echt aufstehen, du kommst zu spät zur Schule.“
Tony schlug seine Augen auf, er befand sich in seinem Zimmer, in seinem warmen Bett. Er rieb sich die Augen und sah auf den Wecker. WAS?! SCHON SIEBEN?! Er musste sich wirklich beeilen. Sein Vater war bereits verschwunden und er setzte sich auf. Dann kam die Erinnerung. Am Tag zuvor hatte er sich mit seinen Eltern gestritten, weil sie ihm ein gewisses Geschenk verweigerten. Jetzt ärgerte er sich, sie schenkten ihm und seiner Schwester Klara doch bereits so viel. Er sprang auf und rannte durch das gesamte Haus zu seiner Mutter und fiel ihr in die Arme. „Es tut mir so leid, was ich gestern gesagt habe, Mutti. Bitte sei mir nicht mehr sauer.“ Die Mutter fuhr im liebevoll durch die Haare und meinte: „Mach zu, Tony, vergiss nicht, nach der Schule wollen wir noch Kekse backen...
Zehn Rosen
Es begab sich einst, dass sich ein
Jüngling auf den Weg machte, und in ferne Gegenden zog, da er
hoffte, dort in die Lehre eines Gärtners gehen zu können, der im
Umgang mit den Pflanzen der wohl geschickteste und erfolgreichste
seiner Zunft war.
Als er den Gärtner traf, wusste er,
dass es dieser sein musste, dieser und kein anderer, der ihm diese
Kunst beibringen sollte. Sein von ihm gewählter Meister war hingegen
erst skeptisch, sagte, der Jüngling sei viel zu erpicht.
Er führte ihn in einen verborgenen
Teil des Gartens und der Jüngling erblickte ein riesiges Feld
wuchernden Grases. Sein erwählter Meister gab ihm einen Spaten und
den Auftrag, die Fläche abzustechen und umzugraben. Er selbst
steckte sich eine Pfeife an und sah dem Jüngling bei seinen ersten
Spatenstichen zu, er war wohl sehr motiviert, und kam gut voran,
sodass der Gärtner seine Pfeife wieder einsteckte und sich seiner
Arbeit widmete.
Er hatte dem Jüngling auch einen Platz
in seinem Haus gegeben, und als der Jüngling ihn abends beim Essen
sah, wusste er, dass er seine Verzweiflung in Angesicht dieser
Mammutaufgabe würde zügeln müssen, um hier zu bestehen, und
gedachte, voreilig aufzugeben. Der Gärtner betrachtete ihn eine
Weile, sagte jedoch nichts.
Noch bevor sein neuer Meister kam, um
ihn zu wecken, war er bereits wach und ohne Frühstück auf dem Feld
gewesen. Nun musste er auch sich beweisen, dass er dieser Kunst
würdig war, hatte er sich selbst gesagt, und mechanisch seine
Aufgabe erfüllt.
Die Sonne war längst aufgegangen, als
der Gärtner den Jüngling im Garten fand, und der Jüngling sah,
dass dieser sein Erstaunen kaum zurückhalten konnte. Er winkte den
Jüngling mit sich und dieser sollte eine schwere Tüte voller Samen
aus einem Schuppen zum Feld schaffen. Der Jüngling war sich sicher,
noch nie so schwer getragen zu haben, und als er es geschafft hatte,
gab es kein Zeichen der Anerkennung, nicht ein Wort sprach sein
Meister, doch es lagen eine kleine Schaufel und abgenutzte Handschuhe
bereit.
Der Jüngling erkannte, was von ihm
verlangt wurde, doch wusste er nicht, wie er es tun sollte. Er
starrte die Erde einfach nur an, der Gärtner bekam schnell genug und
ging. Der Jüngling wusste, dass er ihn enttäuschte, doch hatte er
keine Idee und abends aß er nur einen kleinen Bissen, bevor er sich
schlafen legte.
Nun ließ er sich von seinem Meister
wecken, aß etwas, trank etwas, und begab sich zum Beet, und als er
es nun sah, fragte er sich, warum er es nicht gleichmäßig versuchen
sollte. Schnell holte er aus dem Schuppen eine Harke und teilte sich
das Feld ein, nahm Samen um Samen und bettete ihn in das Erdreich.
Dann besorgte er sich eine Kanne, und lief zum Brunnen und zurück,
Mal um Mal, bis jeder Samen ein wenig Wasser erhalten hatte. Der
Gärtner war indessen zu ihm gestoßen und schien besänftigt und
sprach gar seine ersten Worte seit einer längeren Zeit, der Jüngling
habe sich als würdig erwiesen, doch was wolle er bezwecken? Der
Jüngling stutzte und meinte: „Ich möchte hier ein Feld voller
Blumen heranwachsen lassen, sodass wir sie verkaufen können.“ Der
Gärtner nickte nur und ging.
In den folgenden Wochen bekam der
Jüngling andere Aufgaben, erfuhr einige Grundlagen, doch jeden Tag
sah er nach seinem Beet.
Nach einiger Zeit war es soweit, die
ersten kleinen Pflanzen sprossen aus dem Boden und der Jüngling
sollte sich nun um diese kümmern. Bevor er allerdings anfing, fragte
der Meister ihn, was dies für eine Pflanze sei, und welche Farbe die
Blüten haben würde. Der Jüngling war verwirrt, er erinnerte sich,
dass es verschiedene Arten einer Rose gewesen waren, mittlerweile
wusste er also, was er ausgesät hatte. Doch woher sollte er wissen,
wie diese Rose später aussehen würde? Dann fragte ihn der Meister
nach Größe, Lebensdauer und Schönheit. Der Jüngling konnte nur
die Schultern zucken und sein Meister ging mit grimmiger Miene weg.
Wieder hatte er ihn enttäuscht.
Er versuchte alles, um das
auszugleichen, kümmerte sich um die zarten Pflänzchen, doch sie
konnten sich nicht bewähren. Viele gingen ein, und er ging zu seinem
Meister und fragte ihn kleinlaut um Rat.
Dieser lächelte das erste Mal seit
langem und nahm ihn mit zu seinem Beet, und erklärte ihm, er müsse
sich dem jeweiligen Pflänzchen anpassen. Der Jüngling sollte die
kleinen Pflänzchen an die sonnigste Stelle umpflanzen und nun wieder
sagen, was er erwarte. Er betrachtete die verbliebenen Pflänzchen,
zweifelsohne waren sie stärker und somit würdiger als die anderen
gewesen, doch welche würde die Schönste werden? „Ich denke“,
sagte der Jüngling, „dass sie alle von atemberaubender Schönheit
sein werden. Sie werden groß und stark sein und selbst härteste
Winter überstehen, wenn man sich gut um sie kümmert.“ Er
betrachtete die Pflänzchen erneut und zeigte auf eine: „Das soll
meine Rose werden, sie soll die prächtigste, stärkste und
kostbarste sein.“
Er sollte sich nicht irren: Als er
seine Ausbildung so gut wie abgeschlossen hatte, gingen er und sein
Meister zurück, aus den zarten Pflänzchen waren ansehnlich Rosen
geworden, reiche Kaufleute, treue Kunden des Gärtners, standen
bereits Schlange, um für eine horrende Summen auszugeben.
Der ehemalige Jüngling, der nun ein
ehrbarer junger Mann war, wusste, dass dies seine Bewährungsprobe
werden sollte und betrachtete die Rose, die er vor drei Jahren
erwählt hatte. Für ihn war sie wahrlich die schönste aller Rosen,
schöner noch als die besten des Meisters. Doch hatte er Angst, er
würde nicht bestehen, schließlich wusste er, dass der Meister und
die Kaufleute andere Favoriten hatten. Er sah seinen Meister an,
welcher zufrieden lächelte, und sagte: „So kann ich nun deine
Ausbildung für abgeschlossen erklären, du hast zehn wahrlich schöne
Rosen herangezüchtet, und auch wenn du dich im Vorfeld für eine
entschieden hattest, welche ab heute dein sein soll, hast du sie alle
gepflegt und einer prachtvollen Rose angemessen behandelt. Das ist
es, was einen Meister dieses Handwerks, dieser Kunst, ausmacht: Jede
Rose zu behandeln, als sei sie die schönste, die die Welt je
erblickt hat.“
Die Welt mit anderen Augen sehen
Als er später danach gefragt wurde,
wusste er selbst kaum, wie er es erklären sollte. Die Menschen, die
ihm nahestanden, hatten alle wissen wollen, wie und warum es passiert
war. Doch er selbst kannte die Antworte darauf nicht. Er wusste nur,
dass es so passiert war.
Er erinnerte sich, dass er an jenem Tag
aufbrach, um zu wandern, wie er es jeden Tag tat. Erst war alles so
wie gewohnt gewesen, er war sogar eine Strecke gegangen, die ihm
hinreichend bekannt war. Doch er war so gedankenverloren und auf das
Wanden fixiert, dass er nicht darauf achtete, wohin er eigentlich
wanderte, und dann irgendwann feststellte, dass er nicht mehr wusste,
wo er war.
Er blickte sich um, und stellte fest,
dass alles aber schöner und intensiver zu sein schien. Die Blätter
erstrahlten in einem satten grün, die Sonnenstrahlen wärmten und
berührten ihn auf einer sanftere und angenehmere Art und Weise,
selbst der Himmel schien klarer als sonst zu sein. Verwundert rieb er
sich die Augen, dann schloss er sie. Er nahm die Umwelt mit seiner
Nase wahr, auch die Gerüche waren intensiver, alles war irgendwie
schöner.
Wohlig schritt er nun gemächlich den
Weg entlang und sog die Eindrücke in sich hinein. Doch änderte sich
nichts an der Situation, dass er nicht mehr wusste, wo er war, und
das obwohl er gedacht hatte, jeden Weg bereits gegangen zu sein. Er
kam an eine Kreuzung, auch hier war der Wald allumfassend und der
Boden ausgetreten. Ihm gegenüber stand ein Pfahl mit
Richtungsweisern und er studierte ihn aufmerksam. Dann sah er die
Wege an, die er wählen konnte, und stellte fest, dass sein
Wohlbefinden einer dumpfen Erwartung und einer kleinen Spur Angst
gewichen war. Der Weg zu seiner Linken in Verbindung mit dem, was der
Wegweiser ihm in Aussicht stellte, schien ihm wenig erstrebenswert.
Über einen längeren Weg sollte er wieder zurück an den
Ausgangspunkt geführt werden, es war also ein Umweg. Er besah den
Weg und stellte fest, dass er unebener und steiniger war. Selbst mit
seinen festen Stiefeln würde er also Probleme haben. Auch wirkten
die Farben in einiger Entfernung nicht mehr so schön, und obwohl der
Wald an sich sich nicht verändert haben konnte, wirkte er
trostloser.
Der Weg zu seiner Rechten schien
leichter zu sein. Er sah aus, wie jeder andere Weg auch, wirkte nicht
einmal trostlos und er war sich sicher, dass er diesen Weg auch
kannte.
Doch der Weg geradeaus hatte es ihm
schon längst angetan. Er konnte fühlen, dass dieser Weg genauso
besonders sein würde wie der, dem er hierher gefolgt war. Doch
wusste er auch, dass er dann einem Weg folgte, der ihm unbekannt war.
Er spürte, dass dieser Weg eine harte Herausforderung werden könnte,
und fragte sich, ob er es nicht sogar bereuen würde, ihn
einzuschlagen.
Er zog sein Handy aus der Jackentasche
und rief einen Freund an, erzählte ihm, was vor ihm lag. Zu seiner
Überraschung lachte der Freund und sagte ihm, er müsse seine
Intuition entscheiden lassen, aber er könne ihm nur dazu raten, den
unbekannten Weg zu gehen, da er es sonst bereuen könnte, wenn er den
Weg nicht wählt und später nicht wiederfindet.
Seinem Herzen folgend wählte er also
den Weg geradeaus, zurück war keine Option, er musste und wollte
vorwärts kommen.
Also ging er geradeaus, folgte dem Weg
ins Unbekannte. Er musste zugeben, dass es ihn ein wenig
verängstigte, doch alles in ihm prickelte, er wollte es so. Sein Mut
und seine Zuversicht schwollen an, er war sich auf einmal sicher,
noch nie so viel Spaß beim Wandern gehabt zu haben.
Bis er dann eine traurige Gestalt am
Rand des Weges traf. Er ließ sich neben der armen Gestalt nieder und
fragte ihn, was er denn habe. Das verweinte Gesicht sah ihn an und
sagte, es sei sinnlos weiterzugehen, er hätte kein Glück gehabt und
wolle nun nicht mehr weitermachten.
Der Wandernde konnte ihn nicht
verstehen und fragte sich, ob nur er die Welt um sich herum so
wahrnahm, wie er es tat, oder ob er genauso enden würde, wenn ihn
seine Zuversicht verließ. Gerade als er dem Weinenden helfen wollte,
stand dieser auf und ging.
Stirnrunzeln blickte der Wandernde der
traurigen Gestalt nach und merkte, dass ihn Angst und Pessimismus
erfassten. Hatte die Gestalt recht gehabt? War es aussichtslos?
Gedankenverloren betrachtete er den Weg, den er bereits zurückgelegt
hatte und den, den noch vor sich hatte. Er wirkte steinig und schwer.
Er hatte sich nicht geirrt, dieser Weg hatte seine Tücken. Aber was
konnte ihm schon passieren? Im schlimmsten Fall gelangte er zu einer
Sackgasse und würde sich eingestehen müssen, dass es dieser Weg
nicht gewesen war, dass es hier für ihn nicht weiterging. Und im
besten Fall entdeckte er eine neue Route, wuchs über sich selbst
hinaus, und meisterte diese Herausforderung. Auch jetzt wollte er
nicht umkehren. Er war sich sicher, dass er es durchziehen wollte.
Der Wandernde hatte Glück. Er
erreichte sein Ziel, meisterte die Strecke und es war, als hätten
sieben Wolken ihn über jedes Hindernis schweben und alles in einem
anderen Licht erstrahlen lassen.
Noch oft wurde er gefragt, wie man
diesen Weg erfolgreich meisterte, und jedes Mal wieder sagte er, dass
man viel Glück und Willen brauche. Auch sagte er, dass nicht jeder
Weg für jeden geeignet sei. Denn manchmal konnte schon ein kleiner
Stein zur unüberwindbaren Hürde werden.
Doch warum ausgerechnet diese Strecke
ihn so verzaubert hatte, vermochte er nicht zu sagen. Er war nun mal
zufällig über sie gestolpert – und waren das nicht die besten
Wege?
Der Umgang mit der Angst
Es gab einmal einen jungen Erwachsenen,
der das Segeln über alles liebte und vor keiner Herausforderung
zurückschreckte.
Doch es kam der Moment, der früher
oder später immer kommen musste: Der junge Mann segelte eine
Strecke, die er zu kennen dachte, und wurde von der rauen See
überrascht, die ihn kurze Zeit später fast kentern ließ. Er fühlte
sich ausgeliefert und entkam den Unheil nur knapp. Als er im sicheren
Hafen ankam, war er vollkommen außer Atem, denn so eine Situation
hatte er vorher noch nicht erlebt. Natürlich waren ihm die Risiken
gewusst gewesen, sein Mentor hatte ihn gewarnt, dass es so kommen
könnte, er hatte sogar versucht seine Warnung zu berücksichtigen,
und doch wäre beinahe genau das passiert, wovor er gewarnt worden
war. Es erschütterte ihn und nahm ihm für eine Zeit jegliche
Selbstsicherheit. Seine Kameraden und Mentoren hatten ihn ermutigt
und spekuliert, er würde sich bald wieder an neue Herausforderungen
herantrauen. Doch es dauerte, bis er sich wieder
bereit fühlte.
Während seine Kameraden neue Gewässer
ausprobierten und dabei teilweise kläglich scheiterten, widmete er
sich bekannten und ruhigen Gefilden. Er probierte nichts aus, denn er
war überzeugt, dass er auch dort genug Erfahrungen würde sammeln
können, denn er wusste, dass er erst einmal seine Selbstsicherheit
zurückerlangen musste. Doch mit der Zeit erkannte er, dass ihm die
Herausforderung fehlte, dass er sich wieder an Neues herantasten
wollte. Und so geschah es, dass er beim Segeln eine neue Strecke
ausprobierte, die ihn vor neue Herausforderungen stellte, welche er
gut meisterte. Er fand wieder mehr zu seinem alten Mut. Segeln war
nicht mehr nur eine Routine, es machte ihm wieder mehr und mehr Spaß.
Doch er erkannte, dass er sich der Route, an der er scheiterte, noch
einmal würde stellen müssen, um nicht mehr nur ein Schatten seiner
Selbst zu sein. Wieder und wieder weckte ihn die Route aus seinem
Träumen, sein Scheitern verfolgte ihn.
Also stellte er sich seiner Angst, die
bisher über ihn lachte. Er war wieder und wieder über sich
hinausgewachsen und auch dieses Mal würde er es schaffen.
Er schnappte sich sein Boot, machte die
Leinen los, fuhr hinaus auf das unruhige Meer, weiter, immer weiter,
bis er die Stelle erreichte, an der er gescheitert war. Auf einmal
erinnerte er sich besser an das, was damals passiert war, die Angst
überfiel ihn. Doch er war bereit. Er machte weiter, umfuhr die
schwierigen Stellen und erkannte, dass er es damals nicht hätte
besser machen können. Dies war eine schwierige Stelle, an der selbst
einige gescheitert wären, die weitaus mehr Erfahrung hatten als er,
denn er hatte sich nie Illusionen hingeben: Er war ambitioniert, ja,
aber er war nicht perfekt, er war, wenn man ihn mit anderen verglich,
irgendwie immer noch eine Art Anfänger. Als er die schwierigen
Stellen hinter sich hatte, ließ er sich treiben und atmete
erleichtert aus. Auf einmal fühlte er sich wie besser.
Als er die nächsten Tage den Hafen
verließ, merkte er, wie die Leichtigkeit und das Selbstbewusstsein,
die er so lange vermisst hatte, zurückkehrten. Ja, es hatte ihm viel
Spaß gemacht, aber so war es unbeschreiblich schön. Es fühlte sich
fast so an, als hätte er vergessen gehabt, wie schön das Segeln
wirklich sein kann.
Er lächelte. Es würden neue Gefahren
und Herausforderungen auf ihn zukommen, doch auch sie würde er
meistern. Er hatte sich seiner größten Angst, die ihn so lange
verfolgt hatte, gestellt, seinen Dämonen besiegt. Er hatte das
Gefühl, endlich wieder er selbst und nicht mehr nur sein Schatten zu
sein.
Früher war alles besser...
Eines Mittags kam ein junges Kind
weinend nach Hause. Die Eltern wunderten sich, fragten, was passiert
sei. Das Kind beschwerte sich, der Tag sei nicht so schön gewesen
wie der Tag zuvor, und erst recht nicht so schön wie derselbe Tag
ein Jahr zuvor. Die Eltern waren verwundert, wussten erst nicht, was
sie darauf antworten sollten. Nach einiger Zeit kam ihnen die Idee,
dem Kind eine Geschichte zu erzählen:
Es gab einmal einen Maler, der so viel
Spaß am Malen hatte, dass er die schönsten Bilder malte, und mit
der Zeit erkannte, dass er, je schöner das Bild war, auch desto mehr
Spaß am Malen hatte und damit auch noch erfolgreicher wurde.
Allerdings geschah das, was früher oder später immer geschehen
musste: Ein Bild, von dem er sich so viel erhofft hatte, sollte
einfach nicht so werden, wie er sich das vorstellte. Je länger er am
Bild arbeitete, desto weniger Spaß machte ihm das Malen, und als das
Gemälde fertig war, klopften ihm Kunstkenner nur auf die Schulter,
und sagten, beim nächsten Mal werde es wieder besser. Das machte ihn
so traurig, dass er erst gar nicht mehr malen wollte, und als er es
doch wieder tat, ähnelten die Bilder seinen älteren Werken. Sie
waren schön, keine Frage, doch verlor er sich mehr und mehr in einer
Eintönigkeit, bis er irgendwann verkündete, dass er nie mehr ein
anderes Bild malen wolle.
Doch es kam der Tag, an dem er
feststellte, dass er das Problem damit nicht gelöst, sondern sich
nur vor ihm versteckt hatte. Wütend trat er nach den Farbeimern und
Pinseln, die Farbe ergoss sich im ganzen Raum und einige Leinwände
wurden bespritzt. Er lachte. Das hatte er noch nie so gemacht. Aber
es gefiel ihm. Es machte ihm Spaß.
Die Kunstkritiker waren nicht von jedem
Bild begeistert, doch das war ihm egal, denn er hatte erkannt, dass
es nicht darauf ankam, wie sie es fanden. Er hatte erkannt, dass zwar
nicht jedes Bild gut werden konnte, aber dass sie alle besonders
waren, und dass er sich nicht an alte Werke zu klammern brauchte.
Als die Eltern mit ihrer Geschichte
fertig waren, sah sie das Kind mit großen Augen an, die heiße
Schokolade war bereits leer, und es begann nachdenklich zu gucken.
Dann lachte es und meinte, dass sie der Maler sei und sie morgen
einfach nur ein neues Bild malen müsse, dass ihr Spaß bereite. Auch
das große Geschwisterkind hatte die Geschichte gehört und dachte
sich im Stillen, dass es aufhören werde, sich von den Kritikern den
Tag verderben zu lassen.
Die Straße in der Wüste
Wie ich dort lande, weiß ich nicht.
Ich stehe einfach dort und die Straße ist unendlich lang. Und am
Anfang ist sie immer geradeaus. Wenn ich zurückblicke, kann sie
exakte Konturen annehmen und endet im Horizont, richte ich meinen
Blick nach vorne, ist es, als sähe ich eine Fata Morgana. Ich kann
eine Straße erahnen, doch ist dort keine, weil sie noch von Sand
bedeckt ist.
Wenn ich zurückgehe, dann verändert
sich die Straße. Sie ist nicht mehr gerade, sie hat Kurven,
Abzweigungen und auch einige wenige Schlaglöcher. Ich kann einer
Abzweigung folgen, dort gibt es mehr als nur den Sand und die Straße.
Es gibt ein Museum, eine Anlage, eine Küche, ein Theater, ein Kino,
Bücher und andere verschiedene Dinge. Wenn ich ins Museum gehe, kann
ich dort Bilder, Skulpturen, Monumente und Gemälde bestaunen. Trete
ich zum Beispiel nahe an ein Bilder heran, kann ich sehen, was vorher
kam, und was nach der Szene geschah. Doch die Dinge im Museum sind
bewusst unbewegt. Sie sollen eben nur diesen einen Moment einfangen.
Alle Ausstellungsstücke stellen etwas besonderes dar, und wenn ich
sie sehe, kann ich spüren, wie sie mich tief im Inneren berühren.
Neben der Anlagen liegt eine
Fernbedienung, mit der ich mich gut zurechtfinden kann. Es gibt zwar
eine Tracklist, doch da immer neue Stücke dazukommen, sie die ersten
Seiten vergilbt und die letzten strahlend weiß. Leider kann ich auch
nicht mehr alle Lieder hören. Sie hat einen unglaublich guten Sound,
doch beizeiten gibt sie die Dinge nicht so wieder, wie sie
aufgespielt wurden. Es ist, als wollte ich, dass sich das Stück
ändert. Meistens merke ich mir die Änderung und das Original, doch
je älter ein Stück ist, desto mehr verschmelzen das, was ich hören
möchte und das, was ich wohl mal gehört habe.
Das Theater ist wohl der
eindrucksvollste Ort. Dort kann ich sowohl Regisseur als auch
Zuschauer sein. Hin und wieder kann ich das Stück verändern, auch
wenn es mit seiner Uraufführung bereits in die Geschichte
eingegangen ist. Ich bin mir hin und wieder sicher, dass eine andere
Variante besser angekommen wäre, aber beim Publikum zählt nur der
erste Auftritt, sie sehen nur die erste Aufführung. Manchmal macht
es mich traurig, dass ich die Stücke nicht mehr ändern kann, doch
meistens bin ich mir sicher, dass ich aus ihnen viel gelernt habe,
was mir hilft, wirklich gute Stücke zu erarbeiten.
Im Kino ist es anders, hier lässt sich
der Film nicht mehr bearbeiten. Ich setze mich hin, wähle einen Film
und bekomme meine Vorstellung. Ich habe Verbesserungsvorschläge und
Kritikpunkte, doch kann ich nichts mehr am Film ändern. Manchmal
sehe ich mir bewusst traurige oder verstörende Filme an, meistens
sind es aber lustige, schöne und glücklich machende Filme.
Den Sinn der Bücher habe ich noch nie
ganz verstanden. Es sind so viele, und doch ist es im Endeffekt nur
eines. Ein gewaltig großes und dickes, indem ich mich doch immer gut
zurechtfinde. Einige Seiten tauchen zwar nicht wieder auf, aber so
ist es auch mit einigen Filmen und Audiodateien, den
Handlungstrang stört es eher selten.
Wenn es mir dort zu langweilig wird,
kann ich auch einfach wieder zurück auf die Straße gehen und mich
auf die Sandwüste zu bewegen. Allerdings kann ich die Straße
irgendwann kaum noch sehen, muss ihren Verlauf erahnen, da sie ja
komplett von Sand bedeckt ist. Kurven und Abzweigungen kann ich nur
erahnen, ich bewege mich in ein großes Nichts, durch welches ich in
dem Wissen gehen kann, dass ich vielleicht dabei bin, mich meilenweit
vom richtigen Verlauf zu entfernen.
Hier gibt es auch eine Anlage, ein
Theater und ein leeres Buch.
Die CDs, die ich in die Anlage lege,
muss ich selbst bespielen, die Stücke, die ich mir ansehen und
kreieren kann, sind rein fiktiv und werden vom Publikum so
wahrscheinlich nie erblickt werden, und die Texte, die ich in das
Buch schreibe, verblassen mit der Zeit, bis sie von meinen neueren
Texten überschrieben werden. Es bleibt alles wage und unsicher, bis
dann die Straße unter meinen Füßen auf einmal weniger vom Sand
bedeckt ist und ich die Kurven und Biegungen sehen kann. Ich habe
mich nie weit vom letzten bekannten Fleck der Straße entfernt.
Der Tag der Aufführung ist gekommen,
eigentlich weiß ich nicht, was gespielt werden soll, darum muss
meistens improvisiert werden. Natürlich hoffe ich, dass das Stück
gut ankommt, doch ich habe es schon oft erlebt, dass ein Stück nach
hinten losgeht. Auch bei anderen.
Oft frage ich mich, ob ich den Verlauf
der Straße wohl irgendwann exakt vorhersagen kann. Es gibt
Biegungen, die ich schon recht gut erahnen kann, doch dann tauchen
Schlaglöcher auf, mit denen ich nicht gerechnet habe, welche mich
ins Straucheln bringen.
Dann kommt der Moment, in welchem ich
wieder auf der Straße stehe, und hinter und vor mir nur den Teer und
den Sand sehen kann. Wenn alles andere kurz verschwindet, damit ich
mich neu orientieren kann. In diesem Moment ist es ruhig, die
Theateraufführungen sind vorbei, die Anlage ist still, das Museum
ist geschlossen. Die Ruhe tut gut. Ich brauche den Leerlauf, um den
weiteren Verlauf der Straße neu abschätzen zu können.
Lebenswege, Part II
Er hatte sich ein letztes Mal von ihnen
verabschiedet. Seinen guten Freunden hatte er versprochen, sie zu
besuchen und anzurufen. Die weniger Guten wünschten ihm viel Glück
und Erfolg an seiner neuen Schule. Er würde sie vermissen.
Er musste die Schule im Halbjahr
wechseln. Er war traurig, als er den Flur in Richtung Treppen entlang
ging. Dies alles würde er nun hinter sich lassen müssen. Er hatte
sich schon lange damit abgefunden, trotzdem war er melancholisch und
dachte an all die schönen Momente, die er an dieser Schule erleben
durfte. Rechts von ihm waren Klassenräume, links waren Fenster. Er
blieb kurz stehen und blickte auf den Schulhof. Auch dabei wurden
Erinnerungen wach. Am Ende des Flurs hörte er eine Tür aufgehen und
sah drei lachende Mädchen den Raum verlassen und sich auf die
Fensterbänke setzen. Er kannte sie alle drei. Zwei flüchtig und die
eine hätte eine enge Freundin werden können Zusammen mit anderen
waren sie eine coole Gruppe gewesen. Doch dann kam es zum Streit und
obwohl sie hin und wieder miteinander redeten, hatte doch keiner von
beiden den entscheidenden Schritt auf den anderen zu gemacht. Und nun
saß sie dort und er wusste, dass sie sich für immer aus den Augen
verlieren würden, wenn er sie jetzt nicht ansprach. Er überlegte,
was er sagen sollte, doch er merkte, dass sie ihn gar nicht wahrnahm.
Sie war in ein Gespräch vertieft, lachte, und sah nach draußen. Er
atmete tief durch, er bebte innerlich, aber eigentlich hatte er
geahnt, dass es so sein würde. Er ging an den drei Mädchen vorbei,
ohne ein Wort zu sagen. Er erreichte die Treppen, traf noch einen
guten Bekannten, verabschiedete sich, und verließ das Gebäude. Er
wusste, dass sie ihn jetzt sehen konnte. Ob sie ihn wohl wahrnahm?
Was würde sie wohl über ihn denken, wenn sie ihn wahrnahm? Er
wollte sich fast noch einmal umdrehen, ihr ins Gesicht sehen, sie
anlächeln. Doch er tat es nicht. In diesem Moment war seine
Eitelkeit stärker, er straffte sein Inneres und verließ den
Schulhof. Er hatte bereits einmal den ersten Schritt gemacht und ihr
einen Gefallen getan, doch es hatte sich nichts geändert. Er verwarf
seine Gedanken und dachte an die lange Autofahrt, die ihm nun
bevorstand.
Als sie mit ihren zwei Freundinnen das
stickige Klassenzimmer verließ, sah sie ihn im Gang stehen. Er hatte
seine Tasche dabei, obwohl die Schule noch nicht vorbei war, doch wer
weiß, vielleicht musste seine Klasse jetzt den Raum wechseln? Sie
setze sich auf die Fensterbank und tat so, als würde sie ihrer
Freundin zuhören. Doch in ihren Gedanken war sie bei dem Jungen und
dem ungelösten Problem zwischen ihnen. Sie hatten sich so gut
verstanden. Und hätten sie sich nicht gestritten, hätten sie sehr
gute Freunde werden können. Doch es war anders gekommen und sie
hatte sich lange keine Gedanken gemacht, doch hin und wieder fehlte
ihr das. Er ging jetzt an ihr vorbei, doch sie konnte ihn nicht
einfach ansprechen. Aber sie hoffte, dass er es tat. Doch er tat es
nicht.
Drei Minuten später sah sie, wie er
das Gebäude verließ und über den Schulhof ging. Ob er wohl zum
Arzt musste? Sie könnte ihn anschreiben und fragen. Sie holte hier
Handy aus der Tasche und musste feststellen, dass sie seine Nummer
nicht mehr hatte.
Sie würde ihn nach den Kurzferien
irgendwie zufassen bekommen. Sie würde sich etwas einfallen lassen
und sich seine Nummer besorgen. Vielleicht ging es ihm ja wie ihr.
Das Spiel
Ich habe einen der besseren Plätze
erwischt. Bei mir sind nicht mehr viele Raucher, die Luft ist
atembar. Man arbeite gar daran, die letzten Rauschwaden zu entfernen,
hat man mir erzählt, auch wenn dies wohl nichts mehr bringen wird,
da die Luft bereits so stickig ist. Es heißt, wenn es so weitergehe,
würden wir nicht mehr lange weiterspielen können. Aber welchen Sinn
hat das Spiel überhaupt? Obwohl es wohl an insgesamt immer mehr
Tischen gute Möglichkeiten gibt, sind viele Spieler dem Rausschmiss
wohl immer noch sehr nahe und die Bedingungen werden nicht besser.
Alles fängt mit dem Tisch an, den man
zugewiesen bekommt. Mit dem ersten Blatt und dem Höchsteinsatz,
welchen man nicht ohne weiteres verspielen darf.
Ich war nicht dabei, als es entschieden
wurde. Wie das geschieht, das weiß keiner. Es heißt, man müsse
Glück haben. Andere sagen, der Leiter des Kasinos würde den Platz
zuweisen, da er auf den ersten Blick erkenne, was jemand in einem
Spiel erreichen könne. Viele sehen in diesen Spekulationen den Sinn
des Spiels. Sie sagen, es gehe nicht darum, wo und mit welchen
Voraussetzungen man spiele, sondern darum was man aus diesen
Voraussetzungen mache. An den Wänden sieht man Bilder von Spielern,
die was erreicht haben oder noch erreichen wollen. Spieler, die ganz
unten anfingen und dann am begehrtesten Tisch spielten, Spieler, die
sehr viel Glück hatten und zum Dealer wurden. Spieler, die so gut
spielten, dass sie Einfluss auf den Dealer ausüben konnten, was
ihnen wohl mehr nützte, als selbst der Dealer zu sein. Auch gibt es
Bilder von den Kindern der legendären Spieler, man fürchtet sie,
doch zuweilen scheint ihnen der Ruhm auch nicht gut zu tun.
Wir sind sehr viele Spieler, und wir
werden immer mehr, auch wenn sich die Tische nicht vergrößern. Zwar
bilden sich hin und wieder noch neue Tische, doch diese waren dann
mal vereint in einem großen Tisch. Es heißt, dass es bald nicht
mehr genug Karten für die Spieler gebe. Und dass sich dann nur noch
die guten Spieler über Wasser halten könnten.
Ein weiteres Kriterium für den
Aufstieg als Spieler ist die Bedienung. Bei uns läuft die Bedienung
flüssig, im Vergleich zu anderen werden wir sogar sehr gut bedient.
Andere müssen sehr lange auf den Kellner warten, heißt es. Einige
werden ihn auch niemals sehen.
Ohne die Bedienung wäre vieles gar
nicht möglich. Man sagt, je besser die Bedienung ist, desto größere
Aufstiegschancen gibt es für den Spieler am Tisch. Sie ermöglicht
den Tischwechsel. Das Eintauschen von Chips. Die Beschaffung neuer
Karten. Speisen und Getränke.
Vor einiger Zeit soll es hier noch
anders zugegangen sein. Da soll die Luft besser, der Einsatz sowie
der Gewinn sollen kleiner und die Bedienung nicht so wählerisch
gewesen sein. Es passierte schneller, dass man um alles oder nichts
spielte.
Aber die Regeln haben sich geändert.
Die Taktik hatte sich verbessert. Es war leichter geworden, den Tisch
zu wechseln. Doch war es schwieriger geworden, in den Kreis des
Dealers aufzusteigen, obwohl der Einstieg für die Spieler deutlich
einfacher geworden war. An den Tischen um mich herum, so heißt es,
passierte es nur noch sehr selten, dass ein Spieler direkt nach der
ersten Runde den Tisch verlassen musste. Doch gibt es wohl immer noch
Tische, an denen die meisten Spieler keine zehn Runden überstehen.
Wenn überhaupt. Dies sind die Tische, zu denen sich auch keine
Bedienung begibt. Das ist auch der Grund, warum viele den Leiter des
Kasinos in Frage stellen. Sie glauben nicht mehr daran, dass er seine
Ordnung hergestellt hat, denn er würde viel mehr profitieren, wenn
er für ausgeglichene Verhältnisse sorgte. Auch macht es sie
stutzig, dass er keine klar definierten Regeln festgeschrieben hat.
Alles, was er den ersten Dealern gegeben haben soll, war ein
Leitfaden. Auch wenn einige sagen, dass sich die Dealer diesen selbst
ausgedacht haben, um an allen Tischen die Macht zu behalten und die
Ordnung zu wahren. Die Zweifler sagen gar, dass es den Leiter des
Kasinos gar nicht gibt und niemals gab. Dass die Spieler sich ihre
Dealer auserkoren und die Dealer Ordnung in das Spiel brachten.
An den meisten Tisch läuft es nach den
selben Regeln, sodass die Allmacht des Dealers und der Zufall der
Karten nicht in Frage gestellt wird. Hier und da soll es Tische
geben, an welchen die Dealer die neuen Regeln nicht übernommen haben
und nach einem alten Schema spielen, was die meisten Dealer, die
zusammenarbeiten, verärgert.
Der allgemeine Eindruck ist, dass alles
seine Ordnung hat und der Spieler beim Spiel auch profitieren kann.
Wir haben die Freiheit, uns mit anderen Spielern zusammenzutun, um
uns bessere Chancen zu erarbeiten. Allerdings halten die meisten
dieser Allianzen nicht lange, da meist neue geschmiedet werden, wenn
die alte einen nicht mehr voranbringt. Es gilt als altmodisch immer
denselben Partner zu haben. Man sagt, dass dasselbe auch für die
Dealer gilt. Die Dealer treffen Absprachen, sodass sich gewisse
Tischgruppen zusammenschließen, damit dynamischere Spiele entstehen,
von welchen am Ende alle profitieren sollen. Allerdings erzählt man
sich auch von kritischen Stimmen, die das aus den sinnvollsten und
unsinnigsten Gründen heraus hinterfragen.
Ich habe mich viel mit diesen Fragen
beschäftigt, denn eines Tages möchte ich auch ein Dealer sein. Ich
möchte herausfinden, ob es wirklich so läuft, wie man mir sagt,
oder ob man mir das nur sagt, damit es so läuft. An den Wänden
sind noch Plätze für neue Bilder.
Genauso wie viele andere auch möchte
ich einen davon haben.
Die Kunst der Wertschätzung
Es gab einmal einen Mann, der ein
Liebhaber der schönsten Edelsteine war. Er suchte und sammelte die Schönsten
und Auffälligsten, deren Preise mehr als unverschämt hoch waren.
Doch eines Tages rückte ein Stein in
den Fokus des Liebhabers, den er bis dahin noch nie so wahrgenommen
hatte, obwohl er praktisch schon immer um ihn herum gewesen war.
Zwar war er nicht der Teuerste, auch
nicht der Größte und erst recht nicht der Begehrteste, doch er war
von einem Tiefgang und einer in sich geschlossenen Perfektion, dass
der sonst so redegewandte Mann nicht imstande war, den Stein zu
beschreiben. Er zweifelte und verzagte, da er fürchtete, den
Edelstein nicht so schätzen zu können, wie es ihm gebührte, doch
er wagte den Schritt und setzte alles daran, den Stein sein Eigen
nennen zu können.
Als der Liebhaber sein Ziel erreicht
hatte, stellte er ihn gut sichtbar in seinem Haus auf, machte ihn zum
Zentrum des gesamten Gebäudes. Und jedes Mal, wenn er den Stein sah,
funkelten seine Augen heller als die Sterne, und es dauerte eine
Weile, bis er sich vom Anblick lösen konnte.
Doch mit der Zeit verschwand das
Funkeln und die Zeit, die er sich nahm, seinen Stein zu betrachten,
wurde kürzer.
Der Stein, den er einst so geliebt
hatte, wurde immer uninteressanter für ihn, bis er dann schließlich
begann, sich nach einem neuen Edelstein umzusehen. Er fand auch viele
Schöne, doch sie alle waren nicht perfekt und würden noch den
letzten Schliff benötigen, bevor sie wirklich perfekt für ihn
waren.
Er betrachtete einige und er tat es
lange und eingehend, doch musste er schnell feststellen, dass dieser
letzte Schliff schwierig zu bewerkstelligen sein würde, da der Stein
dabei den individuellen Charakter verlor, den er so schätzte.
Eines abends begab sich der Liebhaber
zu einer Gala, auf welcher die schönsten und prachtvollsten
Edelsteine der Welt gezeigt werden sollten, und der Liebhaber war
sich sicher, dass dies seine letzte Chance sein würde, das begehrte
Objekt zu finden. Doch als er den Saal betrat, verschlug
es ihm die Sprache und er blieb wie angewurzelt stehen.
Dort, in der Mitte des Saales, war eine
riesige Menschenmenge um einen wunderschönen, ja gar perfekten
Edelstein versammelt... um seinen Edelstein! Der Liebhaber musste sich erst einmal
setzen, denn er glaubte bereits, den Stein aufgrund seiner eigenen
Dummheit und Erblindung verloren zu haben, als einer der Gastgeber
auf ihn zu kam, und ihn freundschaftlich grüßte, obwohl er den Mann
noch nie gesehen hatte. Der Gastgeber setzte sich zum Liebhaber
und bedankte sich überschwänglich für die Möglichkeit, den Stein
zu präsentieren. Er wurde auch nicht müde zu versichern, dass der
Stein in guten Händen sei und am vereinbarten Termin zurück zum
Liebhaber komme. Dem Liebhaber fiel ein Stein vom
Herzen, als er erkannte, dass er den Edelstein doch nicht verloren
hatte, und er schwor sich, niemals wieder die Schönheit dessen, was
er bereits besaß, zu verkennen.
Später an diesem Abend hörte er von
einem Mann in einer ähnlichen Lage, der seinen ehemals geliebten
Edelstein gegen einen neuen tauschte, und diesen Tausch bitter
bereute, als er erkannte, dass er damit verloren hatte, was er all
die Zeit gesucht hatte...
Lebenswege, Part I
Ich
gehe eine Straße entlang. Hier sehe ich ein bekanntes Gesicht, dort
höre ich einen Namen. Überall stehen die Menschen, sehen nach
links, blicken nach rechts. Manche mustern den Boden, andere schauen
in den Himmel. Einige grüßen mich, andere ignorieren mich. Wenige
laufen mir hinterher, um ausführlich mit mir zu sprechen. Ich treffe
einen alten Freund, den ich lange nicht mehr sah. Ich grüße ihn,
doch er kennt nicht mal mehr meinen Namen.
So
geht es tagein, tagaus. Tag für Tag gehe ich diese Straße entlang,
meistens sehe ich dieselben Menschen, manchmal kommen auch neue
hinzu. Es sind eigentlich immer dieselben, mit denen ich rede,
dieselben, die ich grüße, dieselben, die mich bereits vergessen
haben.
Ich
mache mir keine Illusion, als ich selbst anhalte, und das Geschehen
betrachte: Morgen werde ich den einen oder anderen auch schon
vergessen haben.
Abonnieren
Posts (Atom)