Donnerstag, 3. September 2015

Der Sprung

Spring! Spring! Spring! Spring!“ 
 
Die Menge hat ihren Rhythmus gefunden. Erst waren es nur Wenige, die üblichen Verdächtigen eben, die mich schon immer schikaniert und ausgegrenzt hatten. Sie hatten mir mein Buch genommen und gelacht, ich solle mal meinen fetten Arsch bewegen. Es wurden mehr und mehr, als nächstes stimmten die Freundinnen und die, die es gerne wären, in den Chor mit ein. So zog es seine Kreise.

Spring! Spring! Spring! Spring!“

Es ging mir nicht aus dem Ohr. Egal woran ich dachte, egal was ich sagte, ich kam nicht vom Felsvorsprung weg. Ich hatte es ihnen beweisen wollen. Ich war also aufgestanden, nahm all meinen Mut zusammen, und sagte ihrem Anführer ruhig, er möge mir das Buch wiedergeben. Doch er lachte nur.

Spring! Spring! Spring! Spring!“

Und so fasste ich einen Entschluss. Ich ging einen Weg hinauf, der zum höchsten Felsvorsprung am Badesee führte. Da hatte noch keiner geschrien, niemand gelacht, es waren auch noch keine Wetten abgeschlossen worden. Erstaunt hatten sie mir hinterher gesehen, nicht gewusst oder geglaubt, was ich vorhatte.

Spring! Spring! Spring! Spring!“

Ich stand dort oben, bestimmt 20 Meter über dem blauen See. Ich sah hinab und mir wurde schwindelig. Die Angst packte mich, ich wusste, ich würde es nicht packen. Anstatt es ihnen zu beweisen, würde ich endgültig zum Gespött. Ich drehte mich um, doch viele waren mir gefolgt, sie wollten das Spektakel aus nächster Nähe sehen. Am Strand und an anderen Felsvorsprüngen konnte ich sie sehen. Verachtete sie, weil sie gafften.

Spring! Spring! Spring! Spring!“

Keiner von ihnen war bisher von dieser Höhe gesprungen, doch ich hörte die ersten „Feigling!“ und „Versager!“ Rufe. Ich sah zu meinen Freunden hinab, sie waren nicht nach oben gefolgt. So wie ich waren sie Opfer, Ausgegrenzte, sie hätten befürchten müssen, die nächsten zu sein. Ich sah ihren Kummer, ihr Mitleid und ihre Machtlosigkeit. Ich konnte das Getuschel hören, Beträge, die abgeschlossen wurden.

Spring! Spring! Spring! Spring!“

Da hoffte ich, dass ich es mir nur einbilde, doch die Menge rückte näher, da bin ich mir mittlerweile sicher. Instinktiv machte ich einen Schritt zurück. Es fehlte nicht viel, ich wäre fast gefallen. Einen kurzen Moment wurde es still, einige schienen schockiert. Ob sie wohl realisierten, was sie mir antaten? Doch die Wichtigen und Coolen feuerten sie an. Sie wurden frenetischer als zuvor.

Spring! Spring! Spring! Spring! Spring! Spring! Spring! Spring!“

Sie kreischten und jubelten, als ich mich umdrehte und meine Muskeln anspannte. Meine Angst war riesengroß. Ich warte, flüsterte einmal gemeinsam mit der Menge „Spring!“.
Und sprang.
Der Sturz war schnell, auch wenn mir die Sekunden langsam vorkamen. Die Menge verstummte, raunte, jubelte, kreischte, drehte durch.

Erst spürte ich das kalte Wasser. Dann den schlimmsten Schmerz. Schließlich nur noch schwarze Leere.

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