Es schneite nun schon seit ein paar Tagen, auch als die fünf Kameraden den Wald hinter sich gelassen hatten und den ersten Garten erreichten, schneite es. Eigentlich war es bereits dunkel und im Wald hätten sie nicht mehr viel tun können, in diesem kleinen Vorort aber war es noch taghell und alles leuchtete, blinkte und erstrahlte in rot, orange, weiß und komischerweise sogar in blau.
Es war nicht der erste Ausflug dieser Art für das Hasenjunges, es hoppelte vor und hielt seine Freunde an, sich zu beeilen, die Menschen seien eh gerade mit Essen beschäftigt und sie könnten ruhig die Hauptstraße benutzen.
Für das Rehkitz war das allerdings gar nicht so einfach, der Neuschnee hatte die Straßen schon bedeckt, und es bewegte sich staksig durch den Schnee, rutschte hin und wieder auf einem glatten Teilstück aus, und fiel dann in die großen Schneehaufen an den Seiten der Straße. Auch wenn das Eichhörnchen seinen Freund jedes Mal auslachte und dafür mit bösem Gezwitscher des Vogels quittiert wurde, hatte es das Ganze doch nicht besser hinbekommen, und hatte es sich auf dem Rücken des Fuchs gemütlich gemacht, der der älteste von ihnen war, und dazu neigte, sich häufig besserwisserisch und idiotisch zu benehmen. Sie hatten sich bis zu einem besonders kitschigen Vorgarten durchgekämpft, als der Fuchs ansetzte: „Wisst ihr, die Menschen, die sind doch bekloppt, dass sie das Alles machen. Es ist schrill, nervig und teuer! Die ganzen Stromkosten, diese dummen Geschenke, was soll ihnen das bringen? Das ist doch...“ Der Fuchs unterbrach erschrocken seinen Satz und machte jäh einen Satz zur Seite, sodass das Eichhörnchen samt seinen Nüssen von seinem Rücken flog und wie das Rehkitz gefühlte tausendmal zuvor in einem Schneehaufen landete. Das Rehkitz und der Vogel hatten sich hinter einer Hecke versteckt, nun sahen sie auf, und erkannten, was den Fuchs so erschreckt hatte: Als sie das Grundstück betreten hatten, mussten sie an so einem Bewegungsmelder vorbeigekommen sein, den die Menschen so toll fanden, und hatten einen riesigen Schlitten samt Rentiergespann und Weihnachtsmann, welcher nun „HO-HO-HO“ sagte, zum Leben erweckt. Nur das Hasenjunge ließ sich nicht beeindrucken und lachte im Angesicht der Tollheit seiner Kameraden auf: „Das ist nur weitere Dekoration, das soll den dicken Weihnachtsmann samt Beförderungsmittel darstellen... die neuesten Modelle haben eingebaute Lautsprecher, die angehen, sobald jemand in die Nähe kommt.“ Das Hasenjunge beäugte das Rehkitz, „wenn ich mir dich so ansehe, hätte er lieber Hasen nehmen sollen, die sind nicht so schreckhaft.“, frotzelte es. Das Rehkitz schüttelte sich, kam hinter der Hecke hervor. sah ihn böse an, setzte dann zu einer Antwort an, überlegte es sich dann aber anders und brach in ein schallendes Lachen aus, als sich das Hasenjunge wegen dem Vogel erschreckte, der leise hinter ihn geflogen war, und ihn nun in einem Sturzflug zu Boden geworfen hatte.
Vergnügt zogen sie weiter, wunderten sich aber mehr und mehr, wo denn alle Menschen seien, zumindest Kindern hätten sie doch begegnen müssen, es schneite schließlich. Doch es war niemand da, und die Lichter, die zu Anfang noch eine gemütliche Atmosphäre erzeugt hatten, wirkten nun kalt und abweisend. Das Eichhörnchen sprach es dann quiekend an: „Wo sind denn alle? Wie sollen wir Weihnachten verstehen, wenn die Erfinder gar nicht hier sind? Ich dachte immer, zu dieser Zeit sei alles laut und bunt, voller im Schnee spielender Kinder, Kutsche fahrender Erwachsenen und dem Duft von Plätzchen... bunt ist es ja, aber ohne die Menschen ist alles eher plump und unbequem, oder?“ Als Antwort bekam es ein zustimmendes Grunzen von seinen Freunden und sie setzten ihren Weg fort.
Sie entschieden sich, offensiver vorzugehen, musterten Vor- sowie Hintergärten, schrien und brüllten, ja, blickten sogar vorsichtig durch ein Fenster: Der Fernseher lief noch, sie konnten ein gemütliches Wohnzimmer samt weihnachtlicher Dekoration und einem Fernseher sehen, dessen Bild eingefroren war, es schien, als hätte sich wer-auch-immer vor seinem Verschwinden einen Film oder eine Serie angesehen, zumindest war es das, was der weitsichtige Fuchs auf einem Tisch erkennen konnte.
Ratlos zogen sie weiter und entdeckten irgendwann ein Kaufhaus. Ihnen war kalt, und da sie bisher keinem Menschen begegnet waren, fürchteten sie auch nicht, dass sie jetzt einem begegnen könnten. Die Tür öffnete sich und sie betraten ein riesiges Gebäude mit Fahrstühlen, Gängen, Treppen und kleinen Verkaufsräumen. Hier war es nicht mehr still, es lief Weihnachtsmusik und sie fanden ein Podium mit anscheinend zu signierenden Büchern von einem vermutlich berühmten Autoren, zumindest war das Podium von Hinweisschildern auf ein bestimmtes Buch von ihm umringt und es lagen diverse Ausgaben und Stifte auf dem Boden. Das Eichhörnchen beäugte die Bücher misstrauisch und meinte: „Warum kaufen die sich noch Bücher? Ich habe immer weniger Bäume zum Hüpfen und die schmeißen sie einfach weg. Als E-Book ist das doch viel praktischer, findet ihr nicht auch?“
Der Fuchs schüttelte den Kopf und meinte dann: „Was macht bei den Menschen überhaupt Sinn? Ohne die Geschenke wäre dieses Weihnachten nicht dasselbe. Die meisten Kinder denken doch einfach nur an die Bescherung, aber verkauft wird es als das Fest der Liebe, der Besinnung, gar als Gedenken an die Geburt Christi, der übrigens über das Wasser gelaufen sein soll, die sind doch verrückt! Wenn ihr mich fragt, ist Weihnachten ein rein kommerzielles Geschäft, wäre es anders, müssten sie doch nicht so einen Aufwand betreiben.“ Aufgrund dieser Feststellung, die schwer zu widerlegen schien, zogen die Tiere mürrisch durch das Kaufhaus, selbst die Leckereien, für die sie sonst größte Gefahren auf sich genommen hätten, wenn es mal welche im Wald gab, würdigten sie keines Blickes mehr.
Sie verließen das Kaufhaus durch den anderen Eingang und betraten einen Parkplatz, der voll von Autos war. An den Parkplatz grenzte eine künstliche Eislaufbahn, und die Freunde nutzen die Gelegenheit, diese ausgiebig auszutesten und so die schlechte Laune zu vertreiben. Der Fuchs erzählte ihnen, die Menschen würden so etwas machen, da die Seen und Flüsse zwar nicht mehr gefrieren würden, sie sich den Spaß am Eislaufen aber nicht nehmen lassen wollen würden. Als sie es endlich geschafft hatten, die künstliche Eisfläche zu verlassen, machten sie sich auf den Rückweg in ihren Wald. Trotz der lustigen letzten halben Stunde mochte keiner was sagen, sie hatten immer noch nicht verstanden, was an Weihnachten so toll sein sollte, und sie ahnten, dass sie mittlerweile so lange weg gewesen waren, dass ihnen ihre Eltern eine Standpauke halten würden, die sie so schnell nicht vergessen würden.
Sie schlichen förmlich durch die Straßen, die nun mit komplett mit Schnee bedeckt waren, und es schneite unerbittlich weiter. Das Hasenjunge versank fast bis zum Oberkörper im Schnee und ihnen war kalt, und so kam es, dass ihnen eine kleine Veränderung fast nicht aufgefallen wäre, aber der Vogel war aufmerksam gewesen, und meinte: „Seht, dort im dem Haus, da sind Menschen!“ Vorsichtig rannten sie zu einem Fenster und sahen gespannt in eine Küche.
Dort sahen sie zwei kleiner Kinder mit Ausstechformen um einen Tisch rennen, während eine anscheinend schwangere Frau einen Teig ausrollte und ein Mann sich ein wenig vom Teig stahl. Ein anderes Fenster in der Nähe war geöffnet und sie hörten leise Weihnachtsmusik in der Luft, es piepte laut auf, und der Mann holte die ersten fertigen Kekse aus dem Ofen. Es duftete vorzüglich und den Freunden wurde angenehm mulmig beim Anblick dieser familiären Idylle. Eines der Kinder erblickte sie und lachte vergnügt. Selbst der vorher so kritische Fuchs war berührt. Als sie sich abwandten, sahen sie eine vollkommen neue Situation:
Überall waren plötzlich lachende und grölende Kinder, Schneebälle flogen durch die Luft, Schneemänner wuchsen empor, Schlitten mit jauchzenden Kindern wurden von Vätern und größeren Geschwistern durch die Straßen gezogen und sogar eine Kutsche kreuzte ihren Weg. „Fehlt ja nur noch die Musik aus dem Kaufhaus, dann wäre es wie im Film“, zwitscherte der Vogel ironisch, woraufhin der Fuchs ihn strafend ansah und meinte: „Sei still, du machst die schöne weihnachtliche Atmosphäre kaputt. Er wandte sich zum Rehkitz und meinte: „Tony, du musst jetzt echt aufstehen, du kommst zu spät zur Schule.“
Tony schlug seine Augen auf, er befand sich in seinem Zimmer, in seinem warmen Bett. Er rieb sich die Augen und sah auf den Wecker. WAS?! SCHON SIEBEN?! Er musste sich wirklich beeilen. Sein Vater war bereits verschwunden und er setzte sich auf. Dann kam die Erinnerung. Am Tag zuvor hatte er sich mit seinen Eltern gestritten, weil sie ihm ein gewisses Geschenk verweigerten. Jetzt ärgerte er sich, sie schenkten ihm und seiner Schwester Klara doch bereits so viel. Er sprang auf und rannte durch das gesamte Haus zu seiner Mutter und fiel ihr in die Arme. „Es tut mir so leid, was ich gestern gesagt habe, Mutti. Bitte sei mir nicht mehr sauer.“ Die Mutter fuhr im liebevoll durch die Haare und meinte: „Mach zu, Tony, vergiss nicht, nach der Schule wollen wir noch Kekse backen...
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