Donnerstag, 3. September 2015

Erinnerungen

Ich komme aus der Dusche, vom warmen Wasser sind die Scheiben und die Spiegel beschlagen. Ich wische über den Spiegel, doch was ich sehe, bin nicht ich. Moment, das bin ich, nur um Jahre jünger. Ich blinzle, das Spiegelbild ist wieder das Erwartete. Ich schüttele den Kopf, ziehe mich an, doch der Eindruck und der Gedanke verschwinden nicht. Ich mache mir einen Kaffee, lasse ihn aber stehen, und gehe zurück ins Badezimmer. Das ist es wieder, mein jüngeres Ich. Haar- und Augenfarbe sind die gleiche, mein Gesicht hat sich kaum verändert – schmaler ist es schon. Aus der Küche höre ich das Radio, es spielt diesen Song, den ich damals so geliebt habe. Erst lächele ich nur, dann muss ich schallend lachen. Für einen Moment rücken meine Aufgaben und Pläne für den Tag in den Hintergrund und ich muss an meine alten Träume denken. Einige sind noch immer die gleichen, andere konnte ich bereits in die Tat umsetzen. Ich gucke mein jüngeres Ich herausfordernd an und es reicht mir die Hand – ich ergreife sie und finde mich in einer Achterbahnfahrt der Erinnerungen wieder. Die Fahrt ist rasend schnell, viel ist geschehen, so wenig Zeit theoretisch vergangen. Ich sehe die Gesichter alter Freunde wieder, laufe mit ihnen an warmen Sommertagen durch son­nige Straßen, sitze am Laptop und schreibe mit einer guten Freundin, unterhalte mich mit meinem besten Freund über meine kleinen Geheimnisse und lache insgeheim über meine naiven Vorstel­lungen. Mit Höchstgeschwindigkeit fahre ich durch die halsbrecherischen Loopings meiner Vergan­genheit, gelange zu meinen Hoch- und von dort zu schnell zu meinen Tiefpunkten. Keuchend stehe ich wieder vor dem Spiegel und blicke mein Spiegelbild an. Ich sehe, dass es lächelt. Es hat ja auch Spaß gemacht. Ich gehe zurück in die Küche, der Kaffee ist noch heiß, im Radio läuft noch immer mein alter Lieblingssong, doch ist er in seinen letzten Zügen.
Melancholisch trinke ich einen Schluck Kaffee, den ich vor nicht allzu langer noch nicht so recht mochte. Wie jede Ach­terbahnfahrt war auch diese zu schnell vorbei, was bleibt, sind das gute Gefühl und die Frage, was aus all den Menschen geworden ist, deren Weg ich kreuzen durfte.

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