Er konnte kaum glauben, dass wieder Weihnachten war. Eigentlich
sprach noch nichts dafür, dass die besinnliche Zeit im Jahr begonnen
hatte, schließlich waren draußen noch zwölf Grad und
Weihnachtslieder wurden im Radio immer noch eher selten gespielt. Er
hatte extra nachgesehen, bisher hatten es erst drei Weihnachtslieder
in die Charts geschafft. Natürlich waren es die ewigen Dauerbrenner,
zu denen ausgerechnet seine ewige Hassliebe von Mariah Carey gehörte,
die jedes Jahr wieder erzählte, sie habe nur diesen einen Wunsch zu
Weihnachten. Nicht mal Schnee werde sie sich wünschen und sie werde
unter dem Mistelzweig warten. Oh, wie sehr er dieses Lied doch hasste
und zugleich liebte. Er hasste es, weil es ihn jedes Jahr wieder
ergriff. Und er liebte es, weil er sich das, was sie da besang, auch
jedes Jahr aufs Neue erhoffte. Jedes Jahr wieder wünschte er sich,
dass es ein Mädchen gäbe, welches nur auf ihn wartete. Und jedes
Jahr war es das gleiche Mädchen, das auf ihn warte sollte. Es war,
als lege Mariah einen Schalter um und von Null auf Hundert war alles
wieder da, was er eigentlich versucht hatte zu zerstreuen. Vorbei war
es dann mit seinen Versprechen sich selbst gegenüber, dass sie doch
nur Freunde seien und dass sie sowieso nicht zueinander passten.
Vorbei mit seiner Distanz und der Unbeschwertheit. Er ärgerte sich,
dass er auch dieses Jahr nicht verschont blieb, obwohl es sich nicht
nach Vorweihnachtszeit anfühlte. Dann wäre es zumindest etwas
erträglicher. Verdammt, das war doch nicht fair! Es lief alles so
gut zwischen ihnen, ja, es lief besser denn je! Warum konnte er es
einfach nicht akzeptieren, dass sie seine Gefühle nicht erwiderte
und sie niemals erwidern würde? Warum konnten sie nicht einfach auch
von ihm aus Freunde sein, über gute Filme und Musik reden und den
langweiligen Unterricht interessant lachen? Denn er wusste ganz
genau, dass er, selbst wenn seine Träume wahr werden würden, auf
lange Sicht nicht glücklicher wäre. Ihm war klar, dass ihre
Beziehung kein Leben halten würde. Als Freunde harmonierten sie gut,
weil sie ihre Freundschaft unkompliziert gestalteten und einander
keine Rechenschaft schuldeten. Doch wären sie erstmal zusammen,
würden sie wieder all ihre Differenzen sehen und am Ende würde es
nichts als einen Scherbenhaufen zwischen ihnen geben. Ihm ist klar,
dass er das mit aller Macht verhindern muss. Vor nicht allzu langer
Zeit hatten sie bereits an diesem Punkt gestanden und dass daraus
ihre neue Freundschaft erwachsen war, war für ihn ein kleines
Wunder. Ja, er gestand sich gerne ein, dass er ihr nahe sein wollte,
dass alles in ihm schrie, wenn er ihr gegenüber stand. Doch, was
konnte er schon tun? Wenn er sich diesem Verlangen wieder hingab,
würde er alles verlieren. Es würde ihnen kein drittes Mal gelingen,
vorn vorne anzufangen und sie beide hatten ihre zweite Chance schon
längst verbraucht. Das Kribbeln in seiner Brust verschwand und wich
einer tiefen Frustration. Er hätte nicht herkommen dürfen. Es war
falsch. Doch er hatte bereits geklingelt und konnte nicht mehr weg.
Eine Silhouette erschien hinter Tür. Ein Schlüssel wurde gedreht,
die Tür ging auf. Sie lächelte ihn verwundert an. Und er war
verloren.
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