Mittwoch, 28. Oktober 2015
Sie hat den Film auch nicht gesehen
Als ich das Kino betrete, rutscht
mir das Herz in die Hose. Bis gerade eben hatte ich mich sehr auf
diesen Nachmittag gefreut, seit Wochen habe ich auf diesen Film
gewartet und alles stehen und liegen gelassen, um mit Mike heute hier
zu sein. Doch sie ist auch hier. Dort sitzt sie, sie hat bereits ihr
Popcorn und eine Cola. Sie ist mit ihrer besten Freundin Nika hier.
Mike hat sie noch nicht bemerkt, er ist schnurstracks unterwegs zu
den Kassen. Hätte er sie bereits gesehen, würde er mich nun
aufziehen. Von einem möglichen Doppeldate würde er mit mir
sprechen, mich versuchen zu überreden, herauszufinden, was die
beiden gucken wollen. Allerdings glaube ich nicht, dass es das was
herauszufinden gäbe, sie hat den gleichen Filmgeschmack wie ich und
wird Nika überredet haben, mitzukommen. Der Verkäufer zeigt uns die
beiden freien Plätze. Der Saal ist gut gefüllt, wir werden
wahrscheinlich nicht neben ihnen sitzen, denke ich mir. Erst als wir
uns mit den Karten in der Hand umdrehen, um uns Popcorn zu holen,
sieht Mike die beiden. Er guckt mich an und nickt zum anderen Tresen.
Gut so, hier wären sie in Hörweite. "Keine Angst, man."
sagt er, "die gucken bestimmt den gleichen Film wie wir"
Ja, das ist zu befürchten, denke ich mir, während das Chaos in mir
tobt. "Und wenn sie den gleichen Film gucken", sagt er,
"steht die Chance, dass sie neben dir sitzt nur 1:109." Wo
er recht hat, hat er leider recht, denke ich mir. "Falls Nika
neben dir sitzt", schiebt er nach, "tauschen wir die
Plätze." Innerlich schüttele ich den Kopf, verwende aber meine
Konzentration darauf, die beiden nicht aus den Augen zu lassen. Haben
sie uns denn noch nicht bemerkt? Wir kaufen unser Popcorn und eine
Cola, ich sehe zu den beiden Mädchen, die noch immer in ihr Gespräch
vertieft sind und uns nicht bemerkt zu haben scheinen. Mike muss noch
mal aufs Klo, das wird ziemlich knapp, aber wenigstens müssen wir
dann den Gang um die Ecke betreten. Auf der einen Seite hoffe ich,
dass wir uns irren, sie in einem anderen Film oder zumindest nicht
neben uns sitzen. Sie würde wieder ihr Spiel mit mir spielen. Auf
der anderen Seite habe ich beschlossen, nicht mehr mit mir spielen
zu lassen und den Spieß umzudrehen. Mike kommt und tatsächlich
betreten wir fünf Minuten nach Beginn der Vorstellung den Saal, es
läuft eine Werbung für eine Bank. Wir schieben uns durch unsere
Reihe, es ist wirklich sehr voll, und lassen uns auf unsere Sitze
fallen. Ich entspanne mich kurz, stelle meine Cola in die Halterung
rechts von mir und sehe sie. Nein, es reicht nicht, dass sie
wahrscheinlich den gleichen Film sieht, natürlich muss ich jetzt
auch neben ihr sitzen. Nicht nur mein Herz auch ich rutsche dieses
Mal ein ganzes Stück nach unten und gucke schnell wieder auf die
Leinwand. Dahin ist mein Plan, den Spieß umzudrehen. Verdammt, was
soll sie denn von dir denken, schelte ich mich und setze mich wieder
gerade auf. Gucke wieder zu ihr. Sie sieht mich, Überraschung liegt
in ihrem Blick und wir nicken einander zu. Mike hat mittlerweile auch
bemerkt, dass sie dort ist und symbolisiert mir, ich solle mich auf
den Film konzentrieren. Das versuche ich auch. Zwei Stunden lang
versuche ich, mich auf dieses Spektakel zu konzentrieren, dass mir
geliefert wird, doch in Gedanken bin ich nur bei ihr. Ihr Arm liegt
ganz locker auf der Lehne, mit ihrem Ellenbogen berührt sie meinen.
Ich stelle mir vor, wie es wäre, ihre Hand zu nehmen. Stelle mir
vor, wie es wäre, zu ihr rüber zu sehen, festzustellen, dass sie es
auch macht und sie dann irgendwann zu küssen. Doch es bleibt nur bei
der Vorstellung. Der Film endet und es ist nichts geschehen. Ich mag
es nicht wahr haben, da war sie, meine Chance. Die Chance, über die
wir sogar schon gesprochen haben - und ich habe sie nicht genutzt.
Mike strahlt mich an, er hat den Film vollkommen genossen. Erst traue
ich mich nicht so recht, nach rechts zu sehen, dann aber werde ich
angetippt. Nika ist in die andere Richtung unterwegs, ist schon fast
am anderen Ende der Reihe, aber Kim steht vor mir und grinst mich an.
Ich hasse und liebe dieses Grinsen gleichzeitig. Sie möchte mich
provozieren, verspottet und verhöhnt mich, ohne etwas zu sagen! Ich
stehe auf und nehme sie in den Arm. "Du packst es einfach
nicht", flüstert sie mir ins Ohr und zwinkert mir zu. Sie hat
Recht. Wäre ich cooler, müsste ich sie jetzt festhalten und küssen.
Mich ihr entgegen stellen, meinen Mut beweisen und einen Höhepunkt
setzen. Sie wartet noch kurz und geht dann. Da war sie, meine Chance
den Spieß umzudrehen. Ich kann mich nicht bewegen, denn mir wird
klar: Sie hat den Film auch nicht gesehen.
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